Predigt zum Karfreitag 2009: Es ist vollbracht!

Predigt zu Johannes 19,16-30am Karfreitag 2009

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Predigttext:

Sie nahmen ihn aber

17 und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha.

18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.

19 Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden.

20 Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.

21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden.

22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.

23 Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.


24 Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten.

25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.

26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn!

27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.

28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet.

29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund.

30 Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!, und neigte das Haupt und verschied.

Es ist vollbracht I

„Es ist vollbracht!“

Was ist vollbracht? Gekreuzigt bist du!

An einen Marterpfahl gebunden lässt du dein Leben hinter dir!

Traurige Menschen lässt du zurück.

Traurige Frauen, traurige Jünger – und vielleicht ein paar enttäuschte Bürger.

Sonst, wie bei jedem Todesfall: eine gewaltige Anzahl dir unbekannter völlig gleichgültiger Menschen. Leute, die dich nicht gekannt haben, die nie von dir gehört haben.

Und nun hängst du am Kreuz, lässt dein Leben.

Und rufst mit dem letzten Atemzug, der dir geblieben ist: Es ist vollbracht!

Hauchst diese großartigen Worte aus.

Als wäre dein Tod eine große Tat, als wären deine Qualen, die du auf dich genommen hast, für irgendjemanden zu verstehen.

Als wären sie für uns zu irgendetwas nütze.

Warum kannst du nicht wenigstens im Tode hinnehmen, dass du ganz und gar kläglich gescheitert bist?

Heilungen hast du angeblich vollbracht.

Angeblich Wunder gewirkt.

Die Krönung: Tote sollst du zum Leben gebracht haben.

Unglaubwürdiger Du! Hingerichteter, kannst dir selbst nicht helfen.

Kein einziger deiner sogenannten Freunde ist bei dir geblieben.

Ein paar Frauen trauen sich an die schwerbewachte Hinrichtungsstätte und dein „Lieblingsjünger“.

Wärest du der Messias, du wärest längst herabgestiegen.

Wärest du der große Revolutionär, du hättest es erst gar nicht soweit kommen lassen.

Du hast dich Rabbi, Meister, Lehrer nennen lassen.

Wärst du ein kluger und umsichtiger Mann gewesen, du wärest nie hierher gekommen.

Aber du musstest ja den Helden spielen.

Du musstest ja schweigen gegen die Anklagen, die sie erhoben.

Du schwiegest da, wo du hättest reden sollen.

Sonst hast du doch auch den Mund aufbekommen!

Und nun: in deinem ganzen Scheitern rufst du so etwas.

Glaubst du wirklich, mit deinem Tod hättest du etwas getan?

Wer bist du denn schon gewesen, außer einem in die Irre gegangenen Propheten aus Galiläa.

Überhaupt: Was kann aus Galiläa schon gutes kommen?

Gift und Galle möchte ich spucken, wenn mir nicht so traurig zumute wär.

Es ist vollbracht II

Ihr wollt einen Sieger?

Ihr wollt jemanden, der in Ewigkeit selbstbewusst von Gott spricht?

Ihr wollt den Siegertypen haben, der voller Gottvertrauen und Kraft ganze Menschenalter durchschreitet?

Einen noch stärkeren Putin, einen noch schöneren Obama?

Oder doch lieber einen Großvatertypen wie Gandalf den Grauen aus „Der Herr der Ringe“?

Schaut der Realität ins Auge: Dort oben hängt er.

Das ist euer Sieger.

Das ist eure ganze Hoffnung.

Schluss mit dem Jammern und dem Verdrängen von Tatsachen.

Und seien sie auch noch so bitter.

Entweder der Tod dieses Mannes hat einen Sinn – oder aber, wir können seine Worte und Taten samt seinen Wundern einfach nur vergessen.

Wer erklärte denn seine Aufgabe jemals für gescheitert?

Doch nicht er! Niemals hat er das getan.

Seine Feinde wollten es am liebsten so.

Leidenschaftlich kämpft der Passionsbericht aus dem Johannesevangelium gegen Zweifel und Sprachlosigkeit an, die sehr leicht Menschen unter dem Kreuz Christi befallen.

Ihr wollt einen Sieger? Schaut hin – und hört ihn euch genau an.

Es ist vollbracht III

Jesus ist seinen Weg konsequent gegangen. Den Leidenden war er ein Helfer, den Kranken ein Heiler; gegenüber Sündern war er barmherzig.

Aber er ist nicht einfach nur der „liebe Herr Jesus“, wie er manchmal genannt wird.

Der „liebe Herr Jesus“ – ein wenig müsste er dann ja haben vom lieben Herrn Meier oder der lieben Frau Müller aus der Nachbarschaft.

Sicher: freundlich den Menschen zugewandt wird er gewesen sein.

Selbst in der Sterbestunde spricht er noch voller Souveränität zu seiner Mutter und dem Lieblingsjünger unter dem Kreuz: Siehe das ist dein Sohn. Siehe das ist deine Mutter.

Dem Menschen zugewandt in Liebe: Das war Jesus, und darin sehen wir die Liebe Gottes zu den Menschen.

Aber einfach nur der „liebe Herr Jesus“ ist er sicherlich nicht gewesen.

Ein aufrechter Mann, der genau wusste, was er wollte. Einer, der einen Menschen auch schon mal schroff abweisen konnte.

Der Bedingungen stellte.

„Verschenke deinen Reichtum“ etwa. Oder: „Lass die Toten ihre Toten begraben!“

Einer, der in den Jerusalemer Tempel ging und die Kassen der Händler umstieß.

Geradlinigkeit, Wahrhaftigkeit sind Eigenschaften von ihm.

Vielleicht überspanne ich den Bogen etwas, wenn ich von Jesus als von einem Helden spreche – aber „der liebe Herr Jesus“ ist eine unverfrohrene Untertreibung.

Der liebe Herr Jesus hätte sich erst gar nicht ins gefährliche Jerusalem begeben.

Der wäre hübsch in Nazareth geblieben und wäre Zimmermann geworden, wie schon sein Vater vor ihm, wie sich das gehört hätte.

Denken wir ihn uns für heute einmal lieber als einen Helden, der ganz bewusst seinen Tod auf sich nimmt und am Ende ruft: „Es ist vollbracht!“

Es ist vollbracht IV

Was ist eigentlich vollbracht? Wie kommt dieser Mensch zu einer solch inneren Stärke mitten im Elend?

Wer so fragt, der entkommt der Lethargie angesichts des so sinnlos erscheinenden Kreuzes.

Wer so fragt, der bekommt wieder Boden unter den Füßen.

Das Evangelium weist uns den Weg zur Antwort auf diese Frage: Nicht in Beschönigungen, die den Tod verklären. Nicht in frommer Fantasie, die sich ausmalt: da ist sicherlich ein göttliches Wesen mal eben in menschliche Haut geschlüpft.

Nichts aus der Luft gegriffenes lässt unser Predigttext gelten.

Sein sicherer Halt ist die Bibel, die hebräische, das Alte Testament.

Immer wieder heisst es: „Damit die Schrift erfüllt würde“.

Die frohe Botschaft lautet: Was Jesus vollbracht hat, haben wir alles schwarz auf weiß.

Wir hätten es schließlich besser wissen können: Von allen großen Gerechten wird berichtet, dass sie angefeindet wurden, am schärfsten oft von den eigenen Leuten.

Ihre Leidensgeschichten ziehen sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte.

Die Propheten im Alten Testament, der griechische Philosoph Sokrates, der den Schierlingsbecher nehmen musste, Seneca, der zum Selbstmord von seinem Schüler dem Kaiser Nero gezwungen wurde, in neuer Zeit dann Menschen wie Dietrich Bonhoeffer oder in Amerika Martin Luther King.

An ihnen kann man es sehen: Die großen Gerechten sind meist nicht sonderlich beliebt.

Und so ist es auch mit Jesus von Nazareth gewesen. Er ist mit aller Konsequenz seinen Weg gegangen. Und diese Konsequenz gipfelte in seiner Ermordung am Kreuz.

Es ist vollbracht V

Wenn wir nun mit aller Konsequenz und damit verbundenen Härte auf den Weg von Jesus blicken.

Wenn wir das tun und einsehen, dass den Gerechten schon oftmals diese Schicksal ereilt.

Vielleicht ist das manchem schon genug.

Vielleicht reicht es dann einigen schon.

Vielleicht können dann schon einige mit einstimmen in seinen Ruf und bestätigen:

Jawohl. Es ist vollbracht.

Allein: Mir und vielen anderen würde das nicht reichen.

Schlimm genug, dass viele Menschen aufgrund ihrer Gerechtigkeit und Standhaftigkeit ermordet wurden und werden.

Vielleicht könnte ich zu Jesus am Kreuz sagen:

„Du hast dein Leben konsequent gelebt und nun hinter dich gebracht. Aber vollbracht, was auch mit vollendet übersetzt werden kann, das hast du nicht.

Es ist relativ rasch und abrupt und viel zu früh zu Ende gegangen.“

Und dennoch, liebe Gemeinde, hat Jesus mit seinem Ausruf recht.

Oder anders: Er wird recht behalten.

Wir dürfen uns an Karfreitag von ihm sagen lassen: „Es ist vollbracht!“

Wir dürfen uns zurückfallen lassen unter das Kreuz. Wir dürfen mit den Frauen und dem Lieblingsjünger unter dem Kreuz stehen und mitweinen und im Leben auch manches Mal traurig sein.

Wir dürfen aber auch aufatmen und unser normales Denken und Handeln zurückstellen, wenn wir auf das Kreuz schauen.

Der, der da gestorben ist: Der ist nämlich für dich gestorben.

Er nimmt deinen eigenen Tod ganz und gar auf sich.

Der Tod, den Christus da am Kreuz stirbt, der ist dein eigener.

Es ist eine ganz besondere Form der Stellvertretung, die Jesus am Kreuz auf sich nimmt.

Gott leidet auf einmal mit.

Und damit wird Gott mir selbst zum Nächsten.

Nehmen wir etwa ein Beispiel aus der Erziehung von Kindern. Da heißt es an einer Baustelle: „Betreten verboten. Eltern haften für ihre Kinder.“

Und ein paar Kinder gehen am Bauzaun vorbei, spielen dort in unmittelbarer Nähe auf der Straße. Und eines schönen Nachmittags klettern die Kids über den Bauzaun und schaffen es sogar, einen Bagger zum Laufen zu bringen.

Niemand wird verletzt, aber ein gewaltiger Sachschaden entsteht.

Und die Eltern müssen haften.

Das hat man nun von den lieben Kleinen, könnten Sie sagen.

Oder auch: Das hat man nun davon, dass man Kinder nicht ordentlich erzieht.

Aber gleichgültig wie sie von so einem Fall denken: „Eltern haften für ihre Kinder.“ Punktum.

Und genauso ist es auch bei Gott und uns, seinen Kindern. Gott haftet für uns. Er ist an Karfreitag für uns in die Bresche gesprungen.

Wieso nun, könnten Sie einwenden, ist das denn bei Gott genauso wie mit den Eltern, die zu haften haben?

Stirbt da nicht nur ein Gerechter mehr auf Golgatha?

Ruft er nicht völlig umsonst: es ist vollbracht?

Die Antwort fällt eindeutig aus: Wir bleiben beim Kreuz ja nicht stehen.

Auch wenn wir heute den Karfreitag feiern und des Leidens und Sterbens Jesu gedenken.

Auch dann wissen wir ja, was übermorgen gefeiert wird. Wir wissen ja, dass Jesus binnen dreier Tage auferstanden ist von den Toten.

Dass er gesehen wurde. Dass er wieder und wieder erlebt wurde.

Und nur mit dem Hintergrundwissen um dieses so ungeheuerliche Ereignis können wir Jesus zustimmen und sagen: Wirklich und wahrhaftig: Es ist vollbracht.

Nur im Licht der Auferstehung können wir die Dunkelheit des Kreuzes verstehen.

Wenn Eltern dann für ihre Kinder nach dem Unfall auf der Baustelle haften, dann schließen sie ihr Kind hinterher gewöhnlich auch wieder in die Arme.

Sie lassen sie weiterhin draußen spielen.

Hoffentlich sagen sie ihnen vorher gründlich die Meinung, damit das nicht noch einmal vorkommt, aber Elternliebe ist nur dann zu verstehen, wenn man das Gesamte anschaut.

Wir verstehen Karfreitag nicht ohne Ostern. Auferstehung gehört unbedingt mit dazu. Sonst ist keinerlei Perspektive da. Sonst starb tatsächlich einfach nur einer mehr.

Aber auch umgekehrt: Von der Auferstehung betrachtet bekommt die Kreuzigung selber Sinn.

Dass Gott nämlich selber meinen eigenen Tod stirbt.

Dass der, der da am Kreuz hängt, für mich gestorben ist, das ist die Botschaft des Karfreitags.

An Weihnachten feiern wir, dass Gott in die Welt gekommen ist.

An Ostern feiern wir, dass er den Tod für uns überwindet.

Am Karfreitag aber, da stirbt Christus für uns am Kreuz.

Und daher ist dieser Feiertag nach evangelischem Verständnis weiterhin der höchste christliche Feiertag im ganzen Kirchenjahr.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.