Predigt zu Invokavit 2012, 1. Mose 3,1-19: Der Sündenfall

Predigt über Genesis, 1. Mose 3,1-19, Invokavit 26.02.2012 Bonhoeffergemeinde Fulda, mit Abm. U. Gospelchor

VERLESUNG des Abschnitts nach rev. Lutherbibel

Liebe Gemeinde zu Anfang der Passionszeit,

 in unseren Lutherbibeln steht über dieser alttestamentlichen Geschichte die Überschrift „Der Sündenfall“ . Obwohl das Wort „Sünde“ in dieser Geschichte noch nicht fällt, sondern erst im nachfolgenden Kapitel bei Kain und Abel (4,7), muss diese Überschrift nicht unangemessen sein. Diese Geschichte ist – jedenfalls in einigen Details – dermassen bekannt, dass sie nicht nur ungezählte Male Eingang in die bildende Kunst gefunden hat, sondern in unserer Zeit ebenso –durch Bezugspunkte wie  Paradies oder Verführung – in die Werbung für Produkte wie z.B. Autos oder Reisen in ferne Länder oder für Schokolade.


Diese Geschichte enthält mehr bedenkenswerte Einzelheiten als in einer einzelnen Predigt gewürdigt und betrachtet werden können. Am heutigen Sonntag Invokavit legen wir unser besonderes Augenmerk auf den Bereich der Verführung und Versuchung zur Sünde – wie ja auch das gehörte Evangelium.

Die Verse, die wir eben gehört haben, sind eigentlich keine selbständige Geschichte, sondern sie bilden mit der Geschichte in Kapitel 2 vom Garten Eden und von der besonderen Erschaffung bzw. Formung Adams und später seiner Frau eine Einheit. Eine andere Geschichte freilich und davon zu trennen ist die eigentliche Schöpfungsgeschichte in 1. Mose 1, die bezeugt, dass Gott diese ganze Welt samt Himmel und Erde geschaffen hat  ohne eine Vorgabe, rein durch Sein Wort und Seinen Willen. Jene wirkliche Schöpfungsgeschichte ist die einzigartige Geschichte vom  r e i n e n  W e r d e n  der Welt und ihrer Geschöpfe sowie des Menschen als Abbild Gottes.

Der heutige Abschnitt dagegen ist aus der Geschichte eines von Gott mit Leben beschenkten bestimmten Mannes und einer bestimmten Frau in der Begegnung mit Gott und untereinander, in der Begegnung mit der Versuchung und den Folgen der Übertretung des Gebotes Gottes. In der Geschichte wird dabei dieses Menschenpaar als das erste Paar überhaupt aufgefasst.

Ich würde davon abraten, von dieser Geschichte als von einem  M y t h u s  zu sprechen. Ein Mythus handelt von Dingen und Zuständen, die sich turnusmässig, kreislaufartig  und typisch wiederholen, etwa die Kreisläufe von Sommer und Winter oder Ähnliches. Würden wir die Geschichte als Mythos deuten, wurden wir später vielleicht sagen: „So handelt typisch eine Frau“. Oder „So sind eben die Männer.“

Solche Deutungen sind unter Berufung auf diese Geschichte in den mehr als zwei Jahrtausenden der Auslegung immer wieder vorgenommen worden – überwiegend zu Lasten der Frau – , aber eine solche Sichtweise vertritt diese biblische Geschichte jedenfalls nicht.

Eine wirkliche  G e s c h i c h t e  ist in ihrem Handlungsablauf in der Reihenfolge unumkehrbar. Unumkehrbar ist  in dieser Geschichte die Reihenfolge von Gottes Wohltat , Gottes Gebot, der Versuchung zur Übertretung des Gebotes, der Übertretung selbst und der Folgen, die daraus entstehen.

Ein lieber holländischer Bekannter, Piet, Mitglied einer reformierten Kirche, fragte mich vor vielen Jahren einmal sinngemäss so : „Wir lernen doch in der Kirche immer, dass wir alle sündig sind und dass wir nur durch Jesus Christus und Sein Kreuz Vergebung und Erlösung haben. Aber ist das denn fair? Haben wir selber von Gott her denn überhaupt eine Chance, ohne Sünde zu sein?“ – Meine Antwort , zu der ich heute noch stehe, lautete etwa: „Das, was wir Sünde nennen, ist doch nicht unser von Gott geschaffenes Wesen, sondern Sünde besteht im Grunde doch aus lauter   e i n z e l n e n  und  k o n k r e t e n   Übertretungen der Gebote Gottes. Ich glaube nicht, dass auch nur eine einzige dieser Übertretungen zwingend notwendig ist. Wir könnten uns in jedem einzelnen Fall auch  f ü r  Gottes Willen statt gegen Gottes Willen entscheiden.“

Liebe Gemeinde! Ich denke, dass unsere heutige Predigtgeschichte mit dieser Thematik zu tun hat, denn sie erzählt uns auf ihre Weise, wie es zur Verführung und zur Übertretung des Gebotes Gottes kommt. Gleich zu Anfang hier: „Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde , die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?“  – Es ist viel darüber gerätselt worden, warum nun gerade die Schlange hier die Rolle des Versuchers übernommen hat. Ist hier wirklich nur an ein bestimmtes Tier gedacht worden? Etwa, weil diese – wie ich finde, wenig kuschelige – Tierart irgendwo liegt, auf unschuldige Beute wartet und dann blitzschnell und tödlich zubeisst? Oder steht noch mehr dahinter? – Es gab im Gottesvolk Israel immer wieder den prophetischen Kampf gegen die Verehrung heidnischer Gottheiten. Dazu gehörte auch eine schlangenähnliche babylonische Gottheit. In 2. Könige 18,4 wird über König Hiskia berichtet: „ Er entfernte die Höhenheiligtümer und zerbrach die Steinmale und hieb das Bild der Aschera um und zerschlug die eiserne Schlange , die Mose gemacht hatte. Denn bis zu dieser Zeit hatte ihr Israel geräuchert , und man nannte sie Nehuschtan.“  – Die Schlange hier in unserer Sündenfallgeschichte ist offensichtlich mehr als eine Tierart – so wie ja in der vorhin gehörten Versuchungsgeschichte Jesu eben der Versucher als Teufel oder Satan auftrit – eine personhafte Macht, die gegen Gott und Seinen Willen auftritt, die den Menschen mit Gott entzweien und auseinanderbringen will. Die theologische Methode dabei ist bei der Schlange gegenüber dem Menschen dieselbe wie beim Teufel gegenüber Jesus: beidemale geht es darum, Gottes Wort im Munde zu führen, um es zu verdrehen und zu verfälschen.

Die Schlange wird hier als „klug“ bezeichnet; das entsprechende hebräische Wort dafür ist „ arom“ ; darauf komme ich noch zurück. „arom“ bedeutet nicht nur klug im Sinn von weise, sondern ebenso klug im Sinn von listig und tückisch. Es ist tückisch, wenn die Schlange hier die Grundform der Verleumdung Gottes, der Lüge und der Abkehr von Gott einführt mit der Frage: „af ki-amar elohim“? – „Sollte Gott wirklich gesagt haben?“  Diese Fragerichtung ist bis heute geeignet, Gottes in der Bibel klar bezeugtes Wort und Seinen Willen immer wieder in Zweifel zu ziehen und Sein Wort menschlichen Absichten und Ansichten anzugleichen oder es in seiner Autorität und in seiner guten Absicht für den Menschen ganz in Frage zu stellen. Das könnte man nun an allen Worten und Geboten Gottes durchdeklinieren, z.B. am 5. Gebot: „Sollte Gott wirklich gesagt haben: Du sollst nicht töten!?“ – „Vielleicht könnte und sollte man aber doch dem Töten hier und da etwas Raum geben, etwa vor der Geburt oder bei Krankheit oder gegen Lebensende?“

„Sollte Gott wirklich gesagt haben?“ – In dieser Fragerichtung  haben wir die Urform aller schlechten Theologie vorliegen. „Sollte Gott wirklich gesagt haben: ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?“ fragt die Schlange konkret. Sie kennt wohl Gottes grosszügiges Wort an Adam: „ Du darfst essen von allen Bäumen, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tag, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben.“ (Gen.2, 17) Doch macht die Schlange das grosse Angebot Gottes klein gegenüber der einen Einschränkung, indem sie gegenüber der Frau salopp gesagt fragt: “Sag mal, ihr dürft hier  wohl gar nichts, oder?“ – Die Frau korrigiert zunächst wohl die Behauptung der Schlange, indem sie wiederholt, was Gott tatsächlich zum Menschen gesagt hat, aber die Schlange bohrt weiter, indem sie nun zur direkten Lüge übergeht: „ Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiss: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgehen, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“ Diese Lüge besteht im Kern darin, dem Menschen einzureden, dass Gott ihn nicht liebt, sondern dass Er eifersüchtig darüber wacht, dass der Mensch Ihm nicht ebenbürtig wird. Was hier als Macht der Versuchung auftaucht, ist eine Macht, die immer nur gegen Gott sein und auftreten kann, eine Macht, die zu Gottes Liebe und Gottes Willen immer nur Nein sagen kann, deren ganze Existenz nur darin besteht, Gott zu hassen. Diese Macht tritt z.B. in Goethes Drama Faust als Mephistopheles auf, der von sich sagt: „ Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“  So wie das Böse Gott nur hassen kann, so hasst es auch Gottes liebstes Geschöpf, den Menschen. Jesus spricht vom Teufel als dem „Vater der Lüge“ (Joh.8,44) Weil er kein Geschöpf Gottes ist, ist er kein wirkliches Wesen, sondern ein Unwesen, auf der Grenze zwischen dem, was nach Gottes Willen geschaffen und gut ist, und dem, was von Gott nicht geschaffen wurde, sondern was verworfen wurde. Gott muss sich vor diesem Unwesen nicht fürchten, weil Gott ihm überlegen ist. Bei uns Menschen sieht das ganz anders aus. In der Geschichte des Menschen hat das Böse, hat jener Ungeist überreiche, schreckliche und millionenfach tödliche Ernte gehalten.

Für die Frau in unserer Sündenfallgeschichte sehen die Früchte des einen verbotenen Baumes verlockend genug aus, um seine Frucht zu nehmen und zu essen – zusammen mit dem Mann.

Dass es sich dabei um einen Apfel handelte, steht dort nicht; vielleicht hat hier die spätere lateinische Übersetzung eine Rolle gespielt, wo das Wort malum im Lateinischen das Schlechte, das Übel bedeutet, das Wort malus dagegen hat die Bedeutung von Apfel. Das nur am Rande.

Die Augen der beiden wurden nach der verbotenen Frucht wohl aufgetan, aber das ursprüngliche Ziel, nämlich klug  zu werden, wurde weit verfehlt: statt klug  – also hebr. „arom“ – zu werden, merken sie nur, dass sie nackt  – hebräisch „eirom“ – waren . Das Wortspiel hier „arom-eirom“(=klug-nackt) steht dafür, dass, wenn der Mensch der Lüge des Versuchers folgt und lieber auf eigene Klugheit als auf die Weisheit Gottes vertraut, dass er dann Moorboden betritt, sumpfiges Gelände, dünnes Eis, oder wie immer wir das im Bild nennen können. Der Mensch, der der Lüge des Versuchers folgte, bricht ein. 

Das Gewahrwerden der Nacktheit hier in der Geschichte und die daraufhin einsetzende zunächst eher spärliche Bekleidung mit Feigenblättern zeigt noch ein Anderes, was im Verlauf der Geschichte noch stärker hervortritt: die ursprüngliche Einheit von Mann und Frau wird nachhaltig beschädigt. Mann und Frau grenzen sich voreinander ab. Rief der Mann im Kapitel davor beim Anblick der Frau noch begeistert aus: „Diese nun endlich! Gebein von meinem Gebein!“, so werden nun Mann und Frau einander sehr bald mit Schuldzuweisungen überziehen.

Nach einem nutzlosen Versteckspiel vor Gott zieht Gott den Mann und seine Frau zur Verantwortung für die Übertretung Seines Gebotes. Adam sagt: „Die Frau, die du mir gegeben hast, gab mir von dem Baum, und ich ass.“ – Ist das womöglich noch ein Vorwurf an Gott, dass Er ihm die Frau zugeführt hatte, über deren Anblick er sich dabei so gefreut hatte? – „Die Frau, die du mir gegeben hast…“ – Sieht so vielleicht die Verantwortung aus, die der Mann in der Geschichte der Menschheit für die Frau so oft gern übernehmen wollte und will?

Auch die von Gott zur Rede gestellte Frau – „Warum hast du das getan?“ – hat keine Neigung, die Verantwortung zu übernehmen: „ Die Schlange betrog mich, so dass ich ass.“ – Das alles sind weitverbreitete Verhaltensmuster , wenn es um die Aufarbeitung von Schuld geht: Schuld haben entweder die Anderen („die Frau, die du mir gegeben hast“ ) oder die Umstände („die Schlange betrog mich“).

Der Versucher selbst, die Schlange, wird von Gott nicht zur Rede gestellt. Gott weiss, mit wem Er es hier zu tun hat. Er hat von dieser Macht des Bösen nichts Anderes erwartet. Er verwirft die Schlange und sagt ihr ewige Feindschaft zwischen dem Schlangengeschlecht und den Nachkommen der Frau voraus. Der Satz „ihr Nachkomme soll dir den Kopf zertreten und du wirst ihn in die Ferse stechen“ wurde von den Christen später auf Jesus Christus gedeutet, der das Böse besiegt, aber nicht ohne Seinen Kreuzestod. „…bricht den Kopf der alten Schlangen und zerstört der Höllen Reich.“ (EG 39: Kommt und lasst uns Christum ehren)

Der ursprünglich bei Übertretung des Gebotes durch Gott angedrohte Tod tritt am Ende nicht ein. Das ist ein Akt der Gnade und Bewahrung durch Gott. Dennoch hat die Sünde der Übertretung Folgen für den Menschen : die Frau wird an Schwangerschaft und Geburt von Kindern schwerer tragen als bisher gedacht und ihr Verlangen wird sich auf den Mann richten, der ihr Herr sein wird. Und Adam wird statt des lieblichen Gartens Eden den schwer zu bearbeitenden Acker als Arbeitsstelle haben und gegen Unkraut kämpfen und sich plagen müssen . „Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, von der du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.“

Mit diesen Worten endet der heutige Predigtabschnitt, und in der Geschichte wird dann noch weiter erzählt, wie die beiden aus dem Garten vertrieben werden.

Von den hier an die Beiden gerichteten Worten Gottes wurde das Wort an die Frau: „Der Mann wird über dich herrschen“ reichlich dazu benutzt und missbraucht, eine Herrschaftsstellung des Mannes über die Frau als gottgewollt zu begründen. Dabei wurde zu gern übersehen, dass diese Ankündigung im Gefolge des Sündenfalls genannt wird . Die Beherrschung der Frau durch den Mann ist also eine Folge des Ungehorsams gegen Gott , sie ist keine Anordnung Gottes des Schöpfers. Zur guten Schöpfung Gottes gehört vielmehr die Schaffung des Menschen zu Gottes Abbild gerade als Mann und Frau. M.a.W.: die Beherrschung der Frau durch den Mann gehört zu den negativen Folgen der Sünde. Die Beherrschung der Frau durch den Mann ist genauso wenig erstrebenswert  wie der steinige unfruchtbare Acker, wie die Dornen und Disteln  und wie der Tod.

Die Hauptstrafe Adams und seiner Frau scheint mir darin zu liegen, dass jeder eine bestimmte Last auferlegt bekommt, die er  a l l e i n  tragen und schultern muss. Erst durch Jesus Christus, erst durch die Ihn gekommene Versöhnung Gottes mit dem Menschen wird auch ihre innermenschliche Gemeinschaft wieder mit geheilt. Darum kann Paulus später schreiben: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Gal.6,2)

Erst in Jesus Christus kommt wieder zusammen, was durch menschliche Sünde getrennt wurde: Gott kommt mit dem Menschen wieder zusammen und die, die zu Ihm gehören wollen, kommen wieder zusammen als Seine Gemeinde aus Schwestern und Brüdern und als die Liebesgemeinschaft von Mann und Frau. „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren; es streit für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren. Fragst du, wer der ist ? Er heisst Jesus Christ, der Herr Zebaoth und ist kein andrer Gott, das Feld muss Er behalten.“

Amen.