2. Advent 2014: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlöung naht (Lk 21,25-33)

Von Pfarrer Marvin Lange

Predigttext Lk 21,25-33:
25  Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres,
26 und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.
27 Und alsdann  werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.
28 Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter,  weil sich eure Erlösung naht.
29 Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an:
30 wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wißt ihr selber, daß jetzt der Sommer nahe ist.
31 So auch ihr: wenn ihr seht, daß dies alles geschieht, so wißt, daß das Reich Gottes nahe 
32 Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht.
33 Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht.


Liebe Gemeinde!

Was für eine furchtbare Enthüllung. Und dann: „erhebt eure Häupter,  weil sich eure Erlösung naht.“ Nicht ab in den Bunker oder ab in die Depression. Ein christlicher Erwartungshorizont wird erschlossen, eine Zuversicht, Hoffnung, ein Glaube, der allem Herabziehenden und Demütigenden entgegensieht, aufrecht. Und weil das keine Einbildung oder Irrtum ist, blicken wir mit erhobenem Haupt auf die Welt. Denn wir haben eine feste Basis. Das ist die Erlösung — sie ist uns ganz nahe.

  1. Die iranische Familie

Was das bedeuten kann, schauen wir uns einmal etwas näher an:

Heimlich geht er mit seiner Frau in die Kirche. Ein stickiges kleines Kellerzimmer. Mehr geht nicht. Und auch das ist verboten. Diese Kirche ist eine Untergrundkirche. Im Iran haben es Christen schwer. Und Moslems, die neugierig sind auf das Christentum. Und noch schlimmer ergeht es denjenigen, die sich zu Jesus Christus bekehren. Heimlich geht er mit seiner Frau in die Untergrundkirche. Immer wieder. Beide überzeugt vor allem eines: Dass Gott die Liebe ist – und dass die Menschen einander in Liebe begegnen sollen. Das kannten sie vom Islam bislang so nicht. Da war Hingabe und Unterwerfung angesagt. Gott und den anderen Menschen auf Augenhöhe begegnen: Das war ihnen neu. Das überzeugte.

Während eines heimlichen Gemeindetreffens ein Anruf der Mutter: „Kommt nicht nach Hause. Bleibt weg. Die Geheimpolizei steht vor der Tür.“ Das junge Paar schläft unter einer Brücke – selbst zu Freunden zu gehen trauen sie sich nicht. Das geht eine Weile so. Immer wieder der warnende Anruf der Mutter: „Kommt bloß nicht zu Eurem Haus. Es wird überwacht.“

Ein schneller Entschluss. Über die Grenze in die Türkei. Da ist man in Sicherheit. Wenn sich die Lage beruhigt, kann man ja zurückgehen. Ein kurzer Urlaub in Istanbul. Mehr nicht.

Die Lage bleibt angespannt. „Mama, wir haben kein Geld mehr. Verkauf unser Auto und zahl das Geld auf mein Konto“, heißt es nach einigen Wochen Zwangsurlaub. Die Regierung hatte da schon alles beschlagnahmt. Das kleine Haus, das Auto. Eine Heimkehr war nicht mehr möglich. Auf Umwegen gelangt das junge Paar in ein Asylantenheim in Osthessen. Mittlerweile eine kleine Familie geworden. Mit dem unsicheren Status der Asylanten haben sie sich allesamt taufen lassen. Der Vater begründete das so: „Das mit der Liebe, das hat uns so sehr überzeugt. Wir wollen Christen sein – egal, ob sie uns abschieben oder nicht.“

Neue Christen. Mit einen Hintergrund, der einem den Atem raubt. Aber als Christen, die aufsehen, die ihre Häupter erheben. Die wissen: Unsere Erlösung ist da. Die Ernst machen mit ihrem Glauben. Bei denen es um Leben und Tod geht. Die hier unter uns sind; in unseren Städten, unseren Dörfern in Hessen. Die unsere Sprache erst noch lernen müssen. Und unsere Kultur. Wie gut, dass es hier Christinnen und Christen gibt, die ihre Schwestern und Brüder freundlich aufnehmen!

2.Das Lächeln im Weihnachtsrummel

Szenenwechsel:

Manchmal schlendere ich diese Tage ganz bewusst langsam. Die Jacke halb geöffnet, so als hätte ich Zeit. Schenke den Menschen, die an mir vorüberhetzen, ein Lächeln. Und wie die Leute hetzen. Was sie jetzt gerade alles zu besorgen haben. Was man nicht online kaufen bestellen kann, das muss man schließlich bis zum 24. Dezember eingekauft haben.

Ich selber bin auch so. Begebe mich hinein in den Strudel aus Geschenkekaufen, Vorfreude und Weihnachtsmarktstimmung. Aber zwischendurch, wenn ich durch die Stadt gehe, dann halte ich bewusst inne. Und die Menschen, die gehetzten, schenken mir ein Lächeln zurück. Nicht immer, aber sehr oft. Und die Häupter gehen dann nach oben, die Menschen schauen auf, statt nur auf das, was vor ihren Füßen ist. So ein Lächeln ist zwar nicht die Erlösung, scheint mir für manche aber wie eine Enthüllung zu sein: Die Enthüllung, dass wir vergessen haben, wozu auf Weihnachten gewartet wird. Dass bei all dem schönen Rausch des Konsums der Urheber des Festes, Gott selber und das Jesuskind, ins Abseits geraten. Eigentlich ja so wie immer: Wenn das ganze Jahr über Gott und unsere Erlösung kaum noch eine Rolle spielen, wie kann es da dann an Weihnachten plötzlich anders sein? Ich will das nicht verurteilen. Wir Menschen sind so, wir vergessen Gott ganz gern. Ich selber auch; das ist ja sogar der Grund, weswegen wir auf Erlösung hoffen dürfen. Erlösung ist Gottesnähe. Erlösung ist, wenn Gott und Mensch sich auf Augenhöhe begegnen. Und das geschieht durch den, den wir in diesen Tagen eigentlich feiern. Durch das Kind in der Krippe – Jesus. Den erwachsenen Mann am Kreuz: Christus.

Ich gehe weiter durch die winterlichen Straßen, in aller Ruhe. Denn ich glaube an das, was Jesus gesagt hat: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Und wenn das so ist, dann soll jeder seine Geschenke doch in aller Eile kaufen gehen dürfen – an ihm, an Jesus, kommt ja ohnehin keiner vorbei.

3.      Gott kommt mir nahe: Jetzt!

Noch einmal Szenenwechsel.

 „Erhebt eure Häupter!“ Das klingt trotzig gegen alle Drohgebärden. Und die sind ja keine Kleinigkeit hier auf Erden. Wer einmal einen Gerichtsprozess erlebt, der weiß, was das für einen Ärger bedeuten kann. Wie da gefordert wird, Drohgebärden aufgefahren werden. Wie beide Seiten ihr vermeintliches Recht erstreiten wollen.

Ich erhebe mein Haupt, weil ich auf den setze, der allem überlegen ist. Der alle Macht im Himmel und auf Erden hat. Da braucht man sich nicht einschüchtern lassen, wenn man weiß: Er ist zu mir gekommen, er hat sich für mich dahingegeben, er hat sogar dem Tod die Macht genommen. Nichts kann mich mehr trennen von ihm. Erlösung ist nahe!

Nahe. – Doch sie ist wohl nicht ganz da. Sonst gäbe es keine Flüchtlinge, würden die Menschen nicht über lauter Geschenken und Glühwein Gott vergessen und wir würden alle in Frieden und Harmonie miteinander leben.

Jesus sagt etwas anderes: er spricht vom Reich Gottes schon jetzt, inwendig in euch, sowohl jetzt als auch in dem, was noch kommt. Und dass es nah ist. Ganz dicht bei euch ist.

Was ist uns denn eigentlich nah? Die Leute, die mit mir auf einer Wellenlänge sind, die mit mir auf gleicher Ebene denken, sind mir nahe; sogar dann, wenn sie irgendwo in räumlicher Ferne leben. Und andere, die ganz nahe zu mir leben, können mir ganz fern sein. Als im Sommer mitten im Gaza-Konflikt zwischen der Hamas und Israel plötzlich überall in Deutschland auf Demonstrationen wieder Judenhass offen zur Schau gestellt wurde, ich in die Gesichter der Schreihälse blickte und ihren Hass bemerkte: Wie fern waren mir diese Menschen. Unendlich fern erschienen sie mir, vermutlich fehlgeleitet, ohne einen Erwartungshorizont, der sich an Gott oder wenigstens am Mitmenschen orientiert. Und egal ob Islamisten, Radikale von links oder rechts: Ihnen allen scheint mir das freundliche Gesicht Gottes zu fehlen, das sie frohen Muts aufblicken lässt. Wenn das Haupt dieser Leute erhoben ist, dann nur für die Drohung und den Hass. Die Erlösung, die auch für sie ganz nahe ist, nehmen sie nicht wahr.

Und was geht mir nahe? Was dringt in mich ein, was nimmt guten Einfluss auf mich? Wenn ich meinen Nächsten liebe. In meiner Ehefrau genauso wie in den Menschen, die meiner Hilfe bedürfen. Wenn mir der Geschundene, Gequälte, Liegengelassene durch und durch geht. Wenn ich selber zum barmherzigen Samariter werde. Wenn ich selber meine Stimme gegen den Hass erhebe. Das geht mir nahe. Da ist Jesus ganz nahe. Da ist Erlösung ganz nahe.

Christen auf der ganzen Welt haben Gottes Wort, das Himmel und Erde überdauert. Sie können nachdenken über die Zukunft, die Gott an sein Ziel bringen wird. Können Tag für Tag geschenkte Zeit genießen und den Spielraum, den sie haben, zum Handeln an dieser Welt nutzen. Sie gemeinsam mit allen Menschen mit der gegebenen Vernunft und Verantwortung des Glaubens bestehen. Nahe ist unsere Erlösung, so nahe wie auch unser Umgang miteinander aus Nächstenliebe heraus. So greifbar nahe menschlich wie damals in Bethlehem. Gott auf Augenhöhe. Darum seht auf und erhebt eure Häupter. Jetzt.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Lied: Ihr lieben Christen freut euch nun (EG 6,1-5)