Predigt an Misericordias Domini 2016 zu Joh 21,1-19

Von Pfarrer i.R. Wolfgang Schmidt-Nohl                                                            

VERLESUNG von Joh 21,1-19 nach rev. Lutherbibel

Liebe Gemeinde!
Aus mehreren Gründen wird dieses 21. Kapitel des Johannesevangeliums für einen Nachtrag des Evangeliums gehalten. Schliesslich hat das vorige Kapitel 20 einen ausgesprochenen Abschluss: „Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor Seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes…“ (20, 30f)


Auf der anderen Seite finden sich im darauffolgenden hier verlesenen Kapitel 21 so viele Anklänge und Bezüge zum Johannesevangelium, dass es als wirkliche und authentische Fortsetzung des Evangeliums verstanden werden kann. Es wird am Ende ja auch unter dieselbe Verfasserschaft gestellt : „Dies ist der Jünger, der dies alles bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist.“ (21,24) Und dieser Jünger wird im gesamten Evangelium nicht unter einem persönlichen Namen geführt, sondern als der „Jünger, den Jesus liebhatte“. Es handelt sich dabei wohl um Johannes, einen der Söhne des Zebedäus, neben seinem Bruder Jakobus.
Die Geschichte, die wir hier heute bedenken, zählt zu den vollgültigen Ostergeschichten des Neuen Testaments. Wir verstehen darunter alle die Geschichten, in denen der auferstandene Jesus den Seinen lebendig begegnet. 
In all diesen Berichten schafft der Auferstandene selbst und allein die Bedingungen der Begegnung mit ihm. Keine einzige Ostergeschichte wurde entsprechend von denen herbeigesehnt, denen der Auferstandene diese Begegnung gewährt.
Das sind auf der einen Seite Begegnungen in und um Jerusalem, auf der anderen Seite Begegnungen des Auferstandenen in Galiläa, wo Jeus Seine Jünger einst in die Nachfolge berufen hatte. Den Frauen am Grab war ja gesagt worden: „Geht aber hin und sagt Seinen Jüngern und Petrus, dass Er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr Ihn sehen, wie Er euch gesagt hat.“ (Mark.16,7)
Diese Ankündigung wird unter Anderem in unserer heutigen Predigtgeschichte eingelöst. Dabei erinnern manche Umstände und Einzelheiten an die Zeit des irdischen Jesus mit Seinen Jüngern . Es ist schliesslich auch für uns persönlich nicht egal, wo wir Jesus und Seinem Wort zuerst im Leben begegnet sind. Vielleicht war das in der Kirche, im Schul- oder Konfirmandenunterricht, möglicherweise auch im Abendgebet der Eltern oder Großeltern an unserem Bett.

Die heute gehörte Ostergeschichte beginnt mit dem Zusammensein von Sieben der Jünger am See Tiberias bzw. Genezareth: Simon Petrus, Thomas, Nathanael, die Söhne des Zebedäus Johannes und Jakobus und noch zwei Andere. Es handelt sich also um kein organisiertes Treffen oder eine Zusammenkunft des Zwölfer- bzw. Elferkreises , in dem etwa auf eine Begegnung mit dem Auferstandenen gewartet würde. Die Situation entspricht eher dem Alltag der Männer, die von Beruf Fischer gewesen waren. Dem gehen sie jetzt nach, und zwar wurde nachts gefischt. Aber in dieser Nacht fangen sie nichts. Schon das könnte sie an den Fischzug des Petrus zur Zeit des irdischen Jesus erinnern und damit an die Berufung des Simon zum Menschenfischer. (Lukas 5)
Wir hören weiter: „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wußten nicht, dass es Jesus war.“ – So war es vor ihnen schon Maria aus Magdala am Grab Jesu ergangen: „ Sie wandte sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.“ (Joh.20,14) – Der Auferstandene ist nicht einfach der wiederbelebte Jesus von Nazareth. Er ist der lebendige und bereits verherrlichte Sohn Gottes auf Seinem Weg zurück zum Vater. Als solcher wird Er erkannt an Seinem Wort und an den Zeichen, die Er tut und mit denen Er die Jünger an Seine irdische Zeit mit Ihm erinnert.
„Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ – Womöglich ist das auch für uns, die wir im Glauben zu Ihm gehören, unsere ewige Zukunft: dass an dem Morgen, auf denen keine Nacht mehr folgen wird, Er auf uns wartet, um uns von hier nach dort ins Leben zu bringen, das kein Ende mehr hat. 
Den Jüngern am See gibt Er den Auftrag, das Fischernetz zur rechten Seite des Bootes auszuwerfen. Es kommt zu einem gewaltigen Fischfang. Sie konnten das Netz mit Fischen kaum ziehen. Da endlich erkennt Ihn der Lieblingsjünger und sagt zu Petrus: „Es ist der Herr!“ – Simon wirft sich vom Boot ins Wasser, um nur schnell genug bei Seinem Herrn zu sein. Will er am Ende wieder einmal der Erste und Wichtigste von allen sein?  – Davon wird zwischen Jesus und Petrus noch die Rede sein.
Die anderen Jünger kamen mit dem Boot und dem vollen Netz die etwa 100 Meter hinterher.
An Land wartet Jesus mit einer Mahlzeit aus Fisch und Brot auf sie, zubereitet auf einem Kohlenfeuer. Das griechische Wort für Kohlenfeuer – anthrakia , siehe das eingedeutschte Wort Anthrazit – begegnet im gesamten Neuen Testament nur an zwei Stellen: hier und im Hof des Hohenpriesters Kaiphas, wohin Simon Petrus dem gefangengenommenen Jesus gefolgt war und sich mit den Knechten daran wärmte. Während dieses Aufenthalts leugnete er allerdings dreimal, zu Jesus zu gehören. Wollte der Herr ihn nun mit dem Kohlenfeuer daran erinnern? – Das folgende Gespräch zwischen dem Herrn und Simon lässt darauf schliessen. Doch soweit ist es noch nicht.
Jesus gibt den Befehl, von den gefangenen Fischen zur Mahlzeit dazu zu holen.

„Simon zieht das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriß doch das Netz nicht.“ (V.11) Mit Sicherheit hatte die genaue Zahl der Fische 153 eine bestimmte Bedeutung, doch lässt sich für uns der genaue Sinn nicht mehr herausfinden. Möglicherweise steht die Zahl für die Anzahl der damals bekannten Völker, denen die Apostel das Evangelium predigen sollten. Dass das Netz nicht zerriß, mag man so deuten, dass die Einheit der Christenheit auf der Erde nicht zerreisst, solange sie in der Einheit in Jesus Christus verbunden bleibt.
Der Auferstandene hält die Mahlzeit mit den Seinen, und keiner muss mehr fragen , wer Er ist. Alle wissen es. Dass Er es ist, der diese Mahlzeit austeilt, macht Brot und Fisch zum Sakrament wie sonst Brot und Wein. Mehr als Seine Gegenwart ist an Heil nicht möglich. Sakrament, Mittel zum ewigen Heil, ist bereits jedes lebendige Wort, das Jesus Christus an uns richtet. Alles, was je Sakrament genannt werden darf, hat seinen einzigen Grund im Kreuz und in der Auferstehung Jesu am Ostermorgen.
Liebe Gemeinde! Das ewige Heil in Christus ruft in Seine Nachfolge, hier besonders dargestellt in der Berufung des Simon Petrus in den Dienst an der Herde und Gemeinde Jesu Christi.
„Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? –Er spricht zu Ihm: Ja, Herr, du weiß, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer!“ (15)
Dasselbe fragt der Herr noch zweimal, und beim dritten Mal wird Petrus traurig:
„Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!“
Es mag sein, dass die dreifache Frage den Petrus an seine dreifache Verleugnung Jesu im Hof des Kaiphas erinnern soll, aber das muß nicht der einzige Sinn der Ernsthaftigkeit des Fragens Jesu sein. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass Jesus Christus im menschlichen Sinn nachtragend ist. Jedenfalls weist der Neutestamentler Rudolf Bultmann in seinem grossen Johanneskommentar darauf hin, dass die urchristliche Überlieferung von einer Rehabilitierung des Petrus nirgendwo etwas weiss oder auch nur andeutet.
Die dreifache Frage Jesu an Seinen Jünger hat doch wohl eher mit der immensen Verantwortung des Simon Petrus für die frühe Gemeinde und Christenheit zu tun. Er vertraut ihm die geistliche Leitung dieser Schar der Glaubenden an. Das ist in erster Linie keine kirchliche Machtstellung , sondern in erster Linie Hingabe an diese Aufgabe und am Ende der Verlust von Leben und Gesundheit für Petrus. „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst. Das sagte Er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als Er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!“ (V.18f) 

– Noch einmal beruft Jesus den Petrus, Ihm nachzufolgen, und diesmal besteht 
kein Zweifel, dass diese Nachfolge am Ende sein Leben von ihm fordern wird. So wird er in seinem Dienst wie in seiner Leitung der Gemeinde ganz diesem auferstandenen Jesus Christus angehören. Dieser besondere Auftrag des Petrus wird dann auch mit seinem Tod enden. Es ist hier keine Rede davon, dass ein etwaiger Nachfolger des Petrus eine annähernd gleiche Berufung bekäme oder gar, dass hier von Jesus so etwas wie ein dauerndes Amt der Leitung ins Leben gerufen worden wäre.
Gleichwohl dürfen alle, die zu Jesus gehören wolle, die Frage des Herrn hier für sich persönlich hören: „Liebst du mich mehr als alle Andren?“ Oder in etwas kleinerer Münze: „Liebst du mich überhaupt?“ Bin ich dir wichtiger als viele Andere und vieles Andere? Hörst du aus allen Stimmen um dich herum meine Stimme heraus? Und bist du bereit, auf sie zu hören? Am Ende , selbst wenn du Nachteile dafür in Kauf nehmen musst? Oder gar, wenn es dich dein Leben kostet? „Meine Schafe hören meine Stimme, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ (Joh.10)
In vielen Ländern und Gegenden dieser Welt ist Nachfolge Jesu nicht billiger zu haben als um den Preis von Leben, Freiheit und Gesundheit. Wie sicher können diese Jüngerinnen und Jünger Jesu unserer Unterstützung , unserer  Solidarität und unserer Fürbitte sein? 
Oder ist es nicht vielmehr so, dass wir unsere Geschwister im Glauben noch nicht einmal hier bei uns in Deutschland schützen können, oder sie nicht vor Nachstellungen schützen wollen?
Da sagte ein aktueller evangelischer deutscher Kirchenführer doch allen Ernstes öffentlich, er würde sich ja für verfolgte Christen in Flüchtlingsheimen einsetzen, wenn er nur genau wissen könnte, wie repräsentativ solche Berichte seien. Das darf doch eigentlich gar nicht wahr sein!
Wie wollen und sollen wir 2017 in unserer Evangelischen Kirche ein grosses Reformations- und Lutherjubiläum feiern? Die Wiederentdeckung des Evangeliums von Gottes freier Gnade in Christus brachte Martin Luther in eine Lebensgefahr, der er sich bewusst stellen musste. Den Weg fauler Kompromisse als Weg zurück in den Schoss seiner Kirche lehnte er ab, nicht ohne Angst und nicht ohne Zittern und Zagen. Doch der lebendige Christus half ihm hindurch.
Jesu Frage an Petrus: „Hast du mich lieber, als mich diese haben?“ mag manches an Möglichkeiten in sich tragen, aber eine Aufforderung zu religiöser Toleranz oder zu so etwas wie political correctness ist diese Frage ganz sicher nicht. Die dreifache Frage Jesu: „Hast du mich lieb?“ ist auch keine Einladung an Seine Gemeinde, unsere Kirche als religiöse Gemischtwarenhandlung zu gestalten.
Dann feiern wir das Gedächtnis der Reformation doch lieber mit Barmen 1934, wo es im Bekenntnis der damaligen Synode in grosser Klarheit heisst: 
                                                                                                       

„Jesus Christus, wie Er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung ausser und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“ (These 1)

Jesu Frage an dich und mich nach unserer Liebe und Treue zu Ihm ist im Kern Seine Zusage wirklichen Lebens, eines Lebens in Seiner Gegenwart und an Seiner Hand. Darum vor allem geht es in der Botschaft von Ostern.
Amen.