Konfirmationspredigt am Pfingstsonntag 2016: Halbgötter und Gotteskinder – Percy Jackson und die Helden des Olymp (1. Tim 6,11-16)

Gnade sei mit euch und Friede…

Der Predigttext für den heutigen Konfirmationssonntag steht im Ersten Brief des Paulus an Timotheus im 6. Kapitel. Dort schreibt der Apostel:
11 Aber du, Gottesmensch…
Jage … nach der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmut!
12 Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, wozu du berufen bist und bekannt hast das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen.

Stellt euch vor: Die alten Griechen hätten Recht gehabt!


Auf dem Olymp, dem Himmel der Götter, wohnen Göttervater Zeus und seine Frau, die Göttin Hera, sein Bruder Poseidon, der Meeresgott, der Kriegsgott Ares und wie sie noch alle heißen.
Stellt euch vor: Bis heute beherrschen diese Göttinnen und Götter die Welt, kämpfen mal gegen, mal miteinander um die Vorherrschaft, jeder Gott mit seinem Können. Zeus mit Donner und Blitz, Poseidon mit den Wogen des Meeres und dem Dreizack, Aphrodite mit Schönheit und dem Gefühl des Verliebseins.
Stellt euch vor: Bis heute würden diese Götter mit Menschenmännern und –frauen Töchter und Söhne zeugen bzw. gebären.
Und stellt euch vor: Wir Normalsterblichen bekommen von all dem nichts mit, da ein zauberhafter Nebel alles Göttliche umhüllt, so dass die menschlichen Augen nie bis zum Eigentlichen durchdringen können.

In der Jugend-Romanreihe Percy Jackson und die Helden des Olymp, von dem amerikanischen Autor Rick Riordan wird eine solche Welt beschrieben. 
(Wer kennt es? Die Filme? Nee, die taugen nicht viel – die Bücher sind der Hammer!)
Der Held der ersten Buchreihe ist besagter Percy Jackson: Ein Sohn des Meeresgottes Poseidon mit einer Menschenfrau. 
Dadurch ist er ein Halbgott, ist zwar sterblich, hat aber besondere Kräfte. So kann er z.B. unter Wasser atmen oder die Kräfte des Meeres aus wenigen Wassertropfen entfesseln, wenn er etwa gegen Monster und andere Mächte der griechischen Mythologie kämpfen muss. Gemeinsam mit seiner Freundin Annabeth, einer Tochter der Göttin der Weisheit (Athene) und anderen Halbgöttern besteht er so manches Abenteuer. 
Witzig ist, dass all die jugendlichen Heldinnen und Helden völlige Schulversager sind: Von ADS oder ADHS geplagt, sind ihre Sinne eben eher auf den Umgang mit Göttern und Helden geeicht als auf den oftmals doch recht langsamen und routinierten Schulalltag. Und dass sich die Lese-Rechtschreib-Schwäche üblicherweise in dem Moment erledigt, wenn griechische Buchstaben auftauchen, ist ein weiteres Merkmal eines Halbgottes.

Nun stellt euch vor, ihr hättet einen solchen Gott zum Vater oder zur Mutter. 
Wer wäre das? 
Was würde passen? Oder anders: Welche Eigenschaften würdet ihr Euch wünschen, die ihr von dem einen oder anderen bekommen hättet? 
Weisheit? Gastfreundschaft? Stärke? Beliebtheit?

Ach, das ist ja so eine Sache mit dem Vererben. 
Eure Eltern heute hier, das sind wohl alles nette Menschen, aber Götter sind die wohl nicht. 
Trotzdem habt ihr von denen Eure Gene bekommen und eure Erziehung; das, was Euch zu einem großen Teil ausmacht. 
Wie oft musstet ihr schon hören: Du kommst mehr nach Mama – oder Du schlägst ja sehr nach deinem Vater!
Gerade in eurem Alter ist aber Individualität gefragt. 
Einzigartigkeit. 
Gerade nicht so zu sein, wie Eure Erzeuger!
Sich abnabeln ist nun dran. 
Und dass die Eltern euch denn auch ziehen lassen, wenn die Zeit kommt.

Und da sind wir dann auch schon mitten drin in der vergehenden Konferzeit: 
Wenn ihr in dem Jahr aufgepasst habt, dann dürfte euch einiges aufgefallen sein: Etwa, dass evangelisch sein eine sehr individuelle Angelegenheit ist. 
Gerade beim letzten Treffen trat das deutlich hervor. 
–    Da will der eine oder andere von euch konfirmiert werden wegen der Geschenke – na dann mal los! So einer war ich auch damals! 
–    Da sagt die eine oder andere, dass in der Konfirmation das Bekenntnis das Wichtigste ist: Sehr schön! Es freut mich, wenn von dem Jahr mit mir und Pfarrer Pfeifer richtig was hängen geblieben ist. 
–    Und da sagt mir eine ins Gesicht: „Mich sehen Sie hier so schnell nicht wieder!“ Schade; aber auch verlorene Helden dürfen immer wieder zum Olymp zurückkehren!
Evangelisch sein ist etwas individuelles. 
Es ist etwas, das sich weiterentwickeln muss und darf. 
Mit 14 Jahren seid ihr da noch nicht an ein Ende gekommen!
Und in unserer Kirche haben die laxen Christen genauso Platz wie die ganz Frommen! 
Das dürft ihr jetzt nicht mit Beliebigkeit verwechseln! 
In der heutigen Zeit wird das unserer evangelischen Kirche ja gern vorgeworfen: Dass wir uns dem Zeitgeist anpassen, dass wir uns politisch nach dem Wind richten, dass wir das Evangelium zugunsten einer Wohlfühlreligion verschleudern würden.
Ich frage mich dann immer, wenn ich solche Dinge lese oder höre, wo so etwas erlebt wird. 
Das Evangelium der Freiheit des Einzelnen wird in den Kirchen, die ich kennen lernen durfte, meist auf höchst interessante, oft sogar vergnügliche Weise verkündigt.
Für Beliebigkeit ist kaum Platz – aber dafür umso mehr für originelle Ideen, die Jesus Christus in die Herzen der Menschen treiben, individuelle Ausformungen von Frömmigkeit.

Heute hört ihr ebenfalls deutliche Worte: 
„Aber du, Gottesmensch… (ja, damit seid ihr Getauften gemeint!)
Jage … nach der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmut! Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, wozu du berufen bist und bekannt hast das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen.“

Denn das ist die Klammer, die euch mehr mit den Halbgöttern aus der Buchreihe verbindet als ihr es für möglich haltet. Ihr habt von Jesus Christus die Befähigung erhalten, die ihr braucht, um den Kampf des Glaubens auszufechten!

Nehmt dieses aus dem heutigen Tage mit: 
Christsein, das ist eine Aufgabe.  
Und zwar eine für jeden Tag, für ein ganzes Leben, an der man wächst. 

Ähnlich wie Percy Jackson nicht gleich der größte Held aller Zeiten ist, seid ihr nicht mit der Konfession evangelisch gleich der größte Christ oder Heilige aller Zeiten!
Christentum will angewendet sein, will weiter erfahren, weiter gelernt sein. 
Christentum muss auch über die Konfirmation hinaus Gehör finden, wenn es echt ist.

Ich sage das deshalb, weil zur Zeit im evangelischen Christentum ein furchtbares Missverhältnis besteht zwischen Wissen um Inhalte einerseits 
und dem Tun dessen, was man noch so gemeinhin für christliche Werte hält andererseits. 
Wie soll man denn christliche Werte begreifen, wenn man das Wesen des Christentums nicht begriffen hat und nur noch so wenig Glaubenswissen vorhanden ist, dass man nicht mehr weiß, was Pfingsten eigentlich für ein Fest ist!?
Was sind das denn für christliche Werte, wenn am Donnerstag auf Seite 3 der Fuldaer Zeitung steht, dass in Asylbewerberheimen Christen nicht oder nur unzureichend geschützt werden? 
Ich rede davon nun immer wieder seit zwei Jahren in allen möglichen Kontexten – jetzt ist es sogar in der Zeitung angekommen.
Christliche Werte, ihr Lieben: Das ist nichts Feststehendes; auch dazu gehört Mut und Glaube, manchmal Kampfgeist.

Ihr seid mit der Taufe bereits zu Kindern Gottes geworden. 
Ihr gehört zu Jesus Christus dazu. 
Habt also nicht nur das Erbe Eurer Eltern, sondern auch die Aufgabe der Nachfolge von Jesus.

Evangelisch sein, liebe Konfis, so hat das mal einer eurer Petersberger Mitkonfirmanden ausgedrückt, ist „Religion für Faule“. 
Ja, das stimmt, da unser Glaube unglaublich viel Spiel lässt für alle möglichen Ausformungen. 
Und es stimmt, weil Evangelische glauben, dass sie ja ohnehin von Gott geliebt sind, egal, was sie tun.

Evangelisch zu sein, liebe Konfis, ist aber aus genau diesem Grunde besonders schwer! 
Weil mir eben niemand sagt, was genau zu tun ist. 
Weil es die so oft beschworenen „christlichen Werte“ doch nur in der jeweiligen Ableitung aus dem Glauben gibt. 
Die so hochgelobten Werte, liebe Konfis, die entstehen bei jedem Menschen im Gewissen stets neu. 
Wir haben keinen Apostolischen Stuhl, der uns sagt, was richtig ist oder falsch. Wir haben auch keine Scharia. 
Bibel und Vernunft müssen für uns ausreichen!
 
Wir Evangelischen sind damit eine Religion im Dauer-Ausnahmezustand:  
Keiner da, der mir dabei hilft, alles immer gleich richtig zu machen. 

Oder? 

Doch, da sind welche, die euch helfen, aber das Ausführen, das Tun, das müsst ihr schon selber machen.
Ähnlich wie Percy Jackson in der Griechischen-Götter-Welt einen großen Förderer, Unterstützer und Mentor in einem freundlichen Zentauren namens Chiron hat, bietet euch der evangelische Glaube in all der großen Freiheit viele Hilfsmittel an, wie der christliche Glauben denn gelebt werden kann.

Ich will nicht behaupten, dass ich für euch zu so einem Chiron werden könnte, dafür fehlen mir die vier Pferdehufe und etwa 3000 Jahre Erfahrung. 
Aber als einen Helfer auf dem Weg, den Glauben auszubauen, verstehe ich mich schon. 
Ich will euch gern die Hand reichen und fordere euch geradezu auf, genau jetzt weiter zu machen und euch hier in der Gemeinde noch stärker anzudocken: 
Sei es in der Jugendgruppe, beim Helfen im Kindergottesdienst oder beim Ausarbeiten der endlich in Schwung kommenden Jugendgottesdienste – auch Dank der heute hier spielenden Band „To Be Honest!“

Der persönliche Glaube ist mit der Konfirmation ja lange noch nicht abgeschlossen: 
Den Kinderglauben, den habt ihr längst hinter euch, ihr wisst nun, dass ihr auch Gott zum Vater habt. 
Es ist an der Zeit, auf dieser neuen Stufe weiter zu kommen und die nächste anzugehen. 

Große Macht steht dem Gottesmenschen zur Verfügung, der verstanden hat, dass er sich nicht bloß auf Menschen und die materielle Welt verlassen braucht. 
Ihr habt immerhin die ganze Power des Heiligen Geistes im Rücken, der nun seit zwei Jahrtausenden in die Geschicke der Christen eingreift. 
Ihr habt die Hilfe der Kirche, ihr müsst sie bloß in Anspruch nehmen wollen. 
Ihr seid Gesegnete und Heilige im Glauben an Jesus Christus.
Ihr habt das Geschenk des Ewigen Lebens. 
Ihr seid Geliebte Gottes.
Sogar der Tod muss euch jetzt nicht mehr schrecken.
Ihr werdet auferstehen!
Ihr habt die Welt Gottes erblickt, die unsere normalsterbliche Welt einschließt und mit seinen Wundern ausfüllt, wenn ihr diese Welt mit Augen des Gottesmenschen, des Gläubigen betrachtet.

Ihr solltet  wirklich nicht länger so leben, als wäret ihr ganz normale Menschen! 
Gott selber zum Vater – das ist noch mehr als bei Percy Jackson, wo die Gottheiten ja doch nur Teilaspekte der Schöpfung abbilden!

Ach, eines noch: Wendet eure Fähigkeiten unter den Normalsterblichen ordentlich an!
Wirkt Wunder!

Nutzt diese zum Guten! 
Ihr habt Worte! 
Worte, die bei anderen Wunder bewirken können.
Das Wort Gottes macht sogar Tote wieder lebendig. 

Wenn eure Worte aus dem Glauben heraus andere auch nur befähigen, ein kleines bisschen lebendiger zu sein als zuvor, dann habt ihr schon viel geschafft!
Ich wünsche mir mehr solcher Wunder. Von Euch!
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Glaubenskämpfe, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Bruder und Herrn.
Amen.