Konfirmationspredigt am Pfingstsonntag 2015: Die Tribute Christi: Joh 14,23-27

Autor: Pfarrer Marvin Lange

Einspieler Lied: The hanging tree – rebel remix
„Are you, are you, 
coming to the tree
Where I told you to run 
so we’d both be free.
Strange things did happen here, 
no stranger would it be
If we met at midnight 
in the hanging tree.“


    „Kommst du, kommst du, 
kommst du zu dem Baum,
    Wohin ich dir riet zu fliehen 
und uns zu befreien?
    Seltsames trug sich hier zu, 
nicht seltsamer wäre es,
    Träfen wir uns um Mitternacht 
im Henkersbaum.“


Ein Hit ist es geworden, dieses Lied von James Newton Howard, das gesungen wird von Katniss Everdeen in der großen Trilogie „Die Tribute von Panem“. Platz 1 der Charts im Januar, wochenlang.
Die Geschichte um die Hungerspiele, bei denen in einer mörderischen Diktatur Jugendliche gegeneinander bis zum Tod bekämpfen müssen, hat mich von der ersten Filmminute an begeistert. 
Hat´s jemand von Euch gelesen? Ich habe nur die Filme geguckt – aber auch diese haben es in sich!
Es ist eine unbestimmt ferne Zukunft in einem Amerika, das durch innere Kriege und Katastrophen geeint wird von einer Diktatur. Präsident Snow regiert vom Kapitol aus in den Rocky Mountains zwölf Distrikte. Die Menschen in diesen Distrikten werden unfrei gehalten wie Sklaven und müssen für das Kapitol arbeiten, damit die Einwohner dort ihren extravaganten Lebensstil erhalten können. Als Höhepunkt des Jahres wird ein großes Filmfestival abgehalten, bei dem Jugendliche aus jedem Distrikt in einer Arena wie bei den römischen Gladiatorenspielen gegeneinander antreten müssen. Von den 24 Tributen, wie diese Jugendlichen heißen, darf nur einer siegreich heimkehren. 
Panis et circenses – so hieß das früher in Rom – Brot und Spiele für Massen. Und so heißt das Land Panem, also Brotland, in ständiger Erinnerung daran, dass nur mit dem Kapitol, nur unter der Diktatur, für alle genug Brot vorhanden ist. 
Das ist freilich Blödsinn: Die Diktatur des Kapitols führt zu einer entsetzlichen Mangelwirtschaft, bei der es nicht genügend Brot gibt. Die Menschen schlagen sich irgendwie durch, gehen in die Wälder wildern, handeln das wenige, das sie haben auf dem Schwarzmarkt. 

Dafür gibt es um so mehr circenses, also Spiele. 
Mörderische Spiele, mit denen die Menschen in Angst und kleingehalten werden sollen.
Es ist trotz der medialen Ausleuchtung eine finstere Welt, in der die Tribute von Panem spielt. Jugendliche, zum Teil Kinder werden zum merkwürdigen und zweifelhaften Vergnügen der Mächtigen in diesem schaurigen Ritual der Hungerspiele ermordet.

singen:
Are you, are you
Coming to the tree
They strung up a man
They say who murdered three.
Strange things did happen here
No stranger would it be
If we met at midnight
In the hanging tree.

Doch die Stimmung im Lande kippt. 
Der Drang nach Freiheit im Menschen ist einfach zu groß. Bei der Bestimmung der Tribute für die 74. Hungerspiele fällt das Los auf die 12-Jährige Primerose. Die größere, 16 Jahre alte Schwester Katniss erträgt den Gedanken daran nicht, dass ihre kleine zarte Schwester als Tribut in der Arena geopfert wird und meldet sich freiwillig an ihrer Stelle. 
Da die Welt in Panem eine Medienwelt ist und alles, wirklich alles, für Show-Zwecke vermarktet wird, erleben die armen Einwohner der 12 Distrikte, wie sich diese junge Frau freiwillig meldet und sich damit voraussichtlich selbstlos opfert. 
Und während viele ihrer Gegner im Verlauf des Spiels zu brutalen Mördern werden, nur um ihre eigene Haut zu retten, spielt Katniss in diesem Spiel von Gewalt und Gegengewalt nicht mit, sondern sucht nach einem Ausweg aus der Spirale der Gewalt.
Dies stachelt die über Fernsehen zuschauenden Menschen an, eine Rebellion zu starten – zunächst friedlich, später dann aber zunehmend auch mit Gewalt…

Ich will jetzt gar nicht weiter erzählen, sonst droht hier Spoiler-Gefahr – die, die es nicht kennen: Schaut es euch einfach an und urteilt selbst!

Jesus sagt: 
Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.

Für mich hat diese Trilogie einen hohen cineastischen Stellenwert, weil in ihr etwas vorweggenommen wird, das ich für nicht so unwahrscheinlich halte. 
Es der Kampf um die Freiheit im postdemokratischen Zeitalter. 
Es ist in den Medien in aller Munde: 
Wir leben in einem medial bestimmten Zeitalter der Schwärme, der Shitstorms, der uns bestimmenden Werbeindustrie (ohne dass wir ´s merken) – inwieweit sind wir selbst frei, uns für das eine oder das andere zu entscheiden?
Bei den Tributen von Panem ist des Effie Trinket, die aufgesetzte Moderatorin, die diese Kunstwelt der Medien völlig übertrieben repräsentiert. 
Geistlos, oberflächlich, überschminkt. 
Sie hat ein gutes Herz, ja, aber sie kommt aus der medialen Rolle, die sie angenommen hat, einfach nicht mehr raus! 
Sie ist nie sie selbst. 
Niemals.

Inwieweit sind wir eigentlich noch Konsumenten und nicht selber schon das Produkt? Bei Google, bei Paypal, bei Facebook, da sind wir das schon längst: Scheinbar Konsumenten, die Dienstleistungen abrufen, in Wahrheit aber Produkte, die weiter vermarktet werden. 

Bei den Tributen von Panem ist die entsprechende Vermarktung, das „sich selbst zum Produkt machen“, sogar überlebenswichtig. 
Katniss und Peeta, die beiden Hauptdarsteller, wären nie so erfolgreich gewesen, wenn sie nicht von Stylist und Modedesigener Cinna entsprechend in Szene gesetzt worden wären. 

Einfach werbewirksam: „Das Mädchen, das in Flammen steht.“ 
Aus den Kohlegruben des 12. Distrikts ins Kapitol. 
Katniss, der brennende Todesengel. 

Das macht Quote, das verspricht Einkünfte. Schade, dass sie wahrscheinlich dabei sterben wird.

Und: Wie stark ist unser Spielraum für die politische Mitbestimmung in unserer repräsentativen Demokratie?  Sind wir schon im postdemokratischen Zeitalter angelangt?
Im Film mach sich Präsident Snow die mediale Inszenierung und Manipulation zu Eigen. 
Wenn Menschen manipulierbar sind, denkt er, dann sollte man das auch nutzen – zu seinen Zwecken. 
Wir sind noch nicht so weit hier bei uns, da hat Russland und Präsident Putin gerade eine traurige Vorreiterrolle in Europa, aber auch bei uns gibt es Tendenzen, die Menschen zu formen und zu manipulieren.
„Nudging“ heißt das heute bei uns, anstoßen, anschubsen. 
Das ist ein neues Programm der Bundesregierung, uns Anstöße zu geben, was gut für uns ist. Es wurde meist positiv, teilweise begeistert aufgenommen.
Mich überrascht das sehr.
Seit wann weiß denn der Staat, was für mich gut ist?
Ja weiß das denn jemand, was für mich gut ist? 
Ich habe zwar nichts gegen sporttreibende Vegetarier, die ihre Kinder früh in den Ganztagskindergarten mit ökologischer Früherziehung bringen, aber ist es nötig, dass der Staat mich in diese Richtung „nudgt“, also: schubst?
Vielleicht mag ich ja lieber anders leben?
Die Freiheit, so zu sein, wie man es selbst bestimmt und möchte, geht durch solche Maßnahmen mittel- und langfristig verloren. Und wir merken´s nicht einmal.

singen:
„Are you, are you, 
coming to the tree
Where I told you to run 
so we’d both be free.
Strange things did happen here, 
no stranger would it be
If we met at midnight 
in the hanging tree.“

Wie ist das denn nun für euch Konfis?
Ich behaupte: Das Christentum setzt etwas dagegen, gegen jede Fremdbestimmung. Gegen jede Form der Diktatur, gegen jede Form der Hirnwäsche.

Jesus setzt einen drauf. Er sagt: „Gott schickt euch einen Tröster, den Heiligen Geist. Der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“

Abgesehen davon, dass ein Tröster gerade hier im Rhöner Land noch eine etwas andere Bedeutung hat, sind diese Worte der Gegenpol zu dem, was uns heute oft eingeredet wird, wie wir zu leben hätten.
Es ist das Angebot, so zu sein, wie wir sein sollten – nämlich von Gott her gedacht, der im Gegensatz zum Staat oder den Medien oder wem auch immer genau weiß, was uns am besten tun würde. 
Katniss Aberdeen opfert sich für ihre kleine Schwester – Jesus Christus hat sich für dich geopfert, für jeden von uns.
Katniss Aberdeen verliert ihre Menschlichkeit nicht, obwohl sie angestachelt wird, sich barbarisch zu verhalten. – Jesus Christus bleibt menschlich, obwohl er göttlichen Ursprungs ist. Oder vielleicht ist das eher umgekehrt: Jesus ist göttlich, weil er bis zuletzt menschlich bleibt. 
Ist das bei Katniss vielleicht ebenso? Das würde sie zu einer Heiligen machen! 
Katniss Aberdeen wird zum Aushängeschild der Rebellin für die Freiheit von der Diktatur. – Jesus Christus ist derjenige, der allumfassend für Frieden eintritt und jeden Zwang ablehnt; sein Heiliger Geist ist die Kirche, die in der Welt wirkt – und nicht nur hinter Kirchenmauern!

Er sagt: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich, wie euch die Welt gibt.“ 

Ums kurz zu machen: Abgesehen davon, dass ich die Gestalt der Katniss Everdeen als eine Jesus-Figur identifiziere, denke ich, dass ihr Konfis das Zeug dazu habt, Teil der großen Sache zu sein.
Heute sagt ihr ja zur Rebellion der Herzen für Mitgefühl und Frieden.
Ihr sagt ja zur Reformation des Weltbildes: Gott hat euch frei geschaffen. Nutzt das!
Und ihr sagt ja zur Revolution der Freiheit, eure persönliche Überzeugung in unsere Gesellschaft, in die Schule, in die Kirche, in die Familie einzubringen.

Es liegt bei euch, diesen Moment zu nutzen und für euer Leben zu ergreifen: Wozu ihr heute „ja“ sagt, das will euch ein ganzes Leben lang tragen.
Nämlich Gott selber. 
Ich hoffe sehr, dass es keiner Rebellion bei uns bedarf wie bei den Tributen von Panem. 
Mit Blick auf die Entwicklungen im Nahen Osten, die zu uns rüber zu schwappen drohen, bin ich aber Realist genug um einzusehen, dass eine gewisse Wachsamkeit nötig ist.
Wir brauchen Katnisses und Peetas in unserer Gesellschaft. 
Jeden Tag, im Kleinen wie im Großen.
Konfirmanden: Ihr seid die Kirche. Jetzt. Nicht erst in Zukunft.
Ihr gehört zur Kirche seit der Taufe mit dazu.
Ich fordere euch auf, euch hier bei uns einzubringen. 
Für dieses Weltbild einzutreten, das unser Glaube ist.
Als aufrechte Protestanten. 
Als kritisch denkende Evangelische.
Als Menschen, die menschlich bleiben trotz allem.
Und auf die tiefe Wahrheit zu hören, die mit Jesus Christus in die Welt gekommen ist.
Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Glaubenskämpfe, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Bruder und Herrn.
Amen.

LIED EG 396,1-3: JESU MEINE FREUDE (TEXT: GERHARD SCHÖNE)