Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr 2016: Lutheralala (Röm 3,21-28)

Von Pfr. Marvin Lange, Fulda

PREDIGT ZU 3,21-28: LUTHERALALA am 13.11.2016 im Bonhoefferhaus zu Fulda


Gnade sei mit euch und Friede
Von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

1. Der Anlass: „Lutheralala“
Ein Dekan im Süddeutschen hat am vergangenen Reformationstag zur Predigt Ayman Mazyek, den Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime, eingeladen. Er begründete das unter anderem damit, dass er zum Reformationstag nicht schon wieder diese ganzen „Lutheralala“ machen wolle.


Die Frage, ob man einen Muslim zum Predigen einladen sollte, noch dazu am Reformationstag, möge jeder für sich beantworten. Ich selber hätte keine Probleme damit.
Schwierig wird es jedoch, wenn es lauter „Lutheralala“ waren, die der Dekan in der Vergangenheit zum Reformationstag gehört hätte.
Und, wenn dem so war, er als kirchenleitendes Organ nicht eigenständig dagegen vorgegangen ist.

Ja, es wird auch Luther kommerzialisiert. Ja, es gibt sie: Die Luther-Bonbons, die Luther-Playmobilfiguren, die Lutherkekse. Und ich mache da nur zu gerne mit… Und nun auch die Lutherbibel in neuer Übersetzung. Die Zeitungen waren in der letzten Woche voll mit guten und schlechten Artikeln über den Reformator und sein Werk. 
Ja, es wird auch in unseren Kirchen mit Luther eine ganze Menge Unsinn angestellt. „Lutheralala“ eben, wenn ich höre oder lese, wofür der alte Luther alles herhalten muss. Und wer bis heute kein Buch über Luther geschrieben hat, braucht es wohl in den nächsten 500 Jahren nicht mehr tun. 

Genug gespottet für diesen Morgen: Ich möchte dieses Reformationsjubiläum freudig begehen. Und die „Lutheralala“ gern mit einbeziehen in die großartige Feier, die wir seit Montag ein ganzes Jahr lang vor uns haben. 
Ich nehme nicht nur in unserem Land, sondern auch in unserer Bonhoeffer-Gemeinde einen großen Graben war zwischen dem, was man tatsächlich über Luther weiß – und dem, was man meint über ihn zu wissen. Also: Wissen und Vermuten liegen weit auseinander, und ich möchte den heutigen Sonntag nach dem Reformationstag dazu nutzen, ein paar „Lutheralala“ zum Besten zu geben, die Euch für Euer Leben zu wissen lohnen. Denn auch wenn es in der Religion um Glauben geht: Evangelisches Christentum ist eine Religion, in der man nicht nur Bescheid wissen darf, sondern durchaus sollte.

Anhand des heutigen Predigtextes möchte ich euch einführen in die Grundlagen reformatorischer Theologie: Der Apostel Paulus, insbesondere der Römerbrief, hatte es dem Reformator ja besonders angetan, denn aus ihm entnahm er in erster Linie seine reformatorischen Erkenntnisse. Hört also Röm 3,21-28!
21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben.
Denn es ist hier kein Unterschied:
23 Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen,
24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt zur Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden
26 in der Zeit der Geduld Gottes, um nun, in dieser Zeit, seine Gerechtigkeit zu erweisen, auf dass er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.
27 Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.
28 So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Eigentlich ist jetzt alles gesagt. Aber bemühen wir doch die reformatorische Theologie, um uns den Abschnitt noch einmal auslegen zu lassen!

2. Die vier Exklusivpartikel
2.1. Die Sola Gratia – allein aus Gnade
„Gnade – was ist das denn?“, fragte ich am Donnerstagmorgen die Schulkinder im Reformationsgottesdienst der Geschwister-Scholl-Schule. Und ich bekam eine ziemlich gute Antwort: „Wenn man jemandem etwas Gutes tut, der das gar nicht verdient hat.“ Prima geantwortet! Und jetzt haben wir die Worte des Paulus: „Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollten.“

Wenn wir von Gott reden und wir von ihm etwas empfangen, so ist das unverdient. Gott tut uns etwas Gutes, obwohl wir das gar nicht verdient haben. Die Reformatoren machten daraus den ersten der Exklusiv-Partikel evangelischen Christentums: Sola gratia – allein aus Gnade! …werdet ihr gerettet, müssen wir ergänzen. Oder, für meine Schüler am Donnerstag auf die Frage: „Wie kommen wir in den Himmel?“ Antwort: „Aus Gnade. Unverdient. Einfach so. Weil Gott uns trotzdem so nimmt, wie wir sind.“ Dafür steht die Taufe. Insbesondere die Kindertaufe, wie sie die kleine Hanne gerade bekommen hat. Verdient hat die sich noch gar nix. Alles, was ihr getan wird, ist lauter Gnade. 

2.2. Allein aus Glaube
28 So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. „Sola fide – allein aus Glaube“ ist der zweite der Exklusivpartikel von uns Protestanten, den es zu wissen lohnt. Und jetzt könnten wir herrlich streiten, was Glauben alles für Bedeutungen hat. „Glauben ist Nichtwissen“, erklären mir die Besserwisser. „Glauben ist ein Für-Wahr-Halten“, sagen die Philosophen. „Glauben ist eine Beziehung“, sagen die evangelischen Theologen.

Glauben als Beziehung?! Ich zeichne es Euch mal an, was aus evangelischer Sicht der Glaube ist.

FLIPCHART Skizze Gott- Mensch – Beziehung Kreis drum.



Das alles ist der Glaube. Es ist nicht ein: „Ich denke schon, dass es Gott gibt.“ Und auch nicht ein: „Ich weiß nicht, ob es Gott gibt, aber ich vermute es.“ Und es schrammt auch nur ein den Glauben als eine eigene Tat zu verstehen. 
Glaube in evangelischem Sinne geht darüber weit hinaus. Es ist die Beziehung zwischen Gott und Mensch.

Überlegt doch mal: Würdet ihr beim Wort Liebe sagen, dass es bloß bedeutet, dass ich jemanden liebe? Oder dass ich vermute, dass mich mein Partner liebt? Da geht es ebenfalls um das gesamte Beziehungsgeschehen mit allen Facetten – und das nennen wir Liebe. Und analog dazu unser Glaube! Glaube ist die Beziehung Gottes zu den Menschen – und umgekehrt.

„Wie komme ich in den Himmel?“ war die Frage an die Schüler – klar, allein aus Glauben.

2.3. Allein Christus
Wie komme ich aber dazu, das so zu sagen. Wer garantiert mir denn, dass Gott mir gegenüber es sich nicht anders überlegt, er zu mir also vielleicht nicht gnädig ist? Der allmächtige Gott ist, schaut euch mal das Alte Testament an, doch etwas launisch. Da kommen wir dann zur dritten Exklusivpartikel: „Solus Christus – allein Christus.“ Der ist der Garant dafür, dass der Rest ebenfalls stimmt. „Durch die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist“, heißt das in unserem Predigttext. In heutigem Deutsch vielleicht so erklärt: Gott ist Mensch geworden und hat sich für uns geopfert. Zum einen, weil er uns liebt, aber auch um uns zu zeigen, was das heißt: Menschsein. Nämlich: Voll Leben und Tatendrang. Aber auch bereit, den Weg zum Kreuz zu gehen. Wegen dieser Konsequenz der Liebe sind diese fünf frisch getauften Iraner übrigens nach Deutschland geflohen. Kompromisslos zu sagen: Ich glaube an den, der die Religion der Liebe brachte: Jesus Christus – und dafür mit der Konsequenz leben zu müssen, dass, wenn ich abgeschoben werden sollten, im Iran dafür hingerichtet werde (oder als Frau: Lebenslänglich ins Gefängnis zu gehen).

Das bedeutet aber zugleich auch den Abschied vom Wohlfühlchristentum der letzten 50 Jahre! Es bedeutet: Von Gott zu reden reicht nicht. Das Wort „Gott“ haben doch alle anderen Religionen auch. Das Christentum hat die Besonderheit, dass Gott Mensch wurde. Das Christentum hat Christus.

Weswegen ich mittlerweile zunehmend allergisch reagiere auf so gut gemeinte Sätze wie: „Wir glauben doch alle an einen Gott.“ Oder auch: „Am Ende beten alle Religionen zu demselben Gott.“
Ja, mag sein, aber welcher der vielen Götter, die angeblich alle der gleiche sind, ist denn gemeint?! Das ist hier das Entscheidende. Und dass es schon große Unterschiede zwischen dem Gottesbild eines Jesus, Moses oder Mohammed gibt, dürfte mittlerweile wieder zum Allgemeingut des religiösen Wissens gehören.

Ja, wir religiösen oder spirituellen Menschen glauben alle an einen Gott oder eine Kraft oder eine Transzendenz. Aber wenn dieser Gott nicht derjenige ist, der sich in Jesus Christus gezeigt hat, der sich hat für uns kreuzigen lassen und der dann auferstand, dann gehe ich mittlerweile auf freundliche Distanz. Ich will schließlich keine fremden Götter anbeten – auch nicht aus dem guten Willen, dass man Unterschiede verdeckt um des lieben Friedens willen!

2.4. Allein die Schrift
Kommen wir zum vierten Exklusivpartikel christlichen Glaubens. Das evangelische Schriftprinzip: „Sola scriptura – allein die Schrift!“

Allein die Schrift ist die Grundlage des christlichen Glaubens, nicht die kirchliche Tradition. Und auch nicht der Zeitgeist. Und nicht die Meinung einzelner oder größerer Gruppen.
Es ist tatsächlich dieses alte Buch, die Bibel, die für Evangelische nicht nur die Richtschnur, sondern die in Glaubensdingen tatsächlich alles ist. Ich behaupte: Das Schriftprinzip geht der evangelischen Christenheit in Deutschland gerade verloren. Dabei ist es die Klammer, die die anderen drei Punkte zusammenhält. Ja woher soll man denn wissen, dass es um Gnade, Glaube und Christus geht? Das erlebe und erfahre ich doch nicht im Wald, in dem angeblich auch so gut gebetet werden kann. Heilige Orte müssen unsere Wälder mittlerweile sein, wenn sich dort derartig hoher Glaube niederschlägt wie ich es so oft höre: „Zum Beten brauche ich nicht in die Kirche gehen. Beten kann ich auch im Wald.“
Wisst ihr was? Das stimmt! Wir können auch im Wald beten. Aber Hören auf Gottes Wort – das können wir da nicht. Da werdet ihr weder die Gnade und Liebe Gottes zugesagt bekommen noch eine Ansage, dass euer Leben so, wie ihr es führt, eben nicht völlig in Ordnung ist. Das erfährt man dann eben doch nur im privaten Studium der Bibel oder beim Hören auf die Auslegung im Gottesdienst – und beides geschieht gewöhnlich nicht in Wald und Flur, sondern in Haus und Kirche. 

„Allein die Schrift“ kann ab sofort und ganz einfach wieder neu ins Bewusstsein rücken. Die neue Luther-Übersetzung versucht, verschiedenen Übersetzungsansprüchen gerecht zu werden:
1. Sie versucht genau zu sein. 
Die Treue gegenüber dem Ausgangstext ist das zentrale Anliegen der Revision. 
So wurde die gesamte Bibel anhand der hebräischen und griechischen Urtexte überprüft. Nicht zuletzt die Funde von Qumran haben im 20. Jahrhundert die Erkenntnisse der biblischen Textforschung erheblich vorangebracht. 

2. Sie versucht verständlich zu sein. 
Sprache unterliegt einer ständigen Entwicklung. So haben im Lauf der letzten Jahrzehnte einzelne Begriffe ihre Bedeutung gewandelt oder sind aus dem allgemeinen Wortschatz verschwunden. So ist etwa die „Wehmutter“ rausgeflogen und von der „Hebamme“ ersetzt worden.

3. Sie versucht, der Luthersprache wieder mehr Gewicht zu verleihen:
Die kernige Sprache des Reformators soll wieder mehr herausgehoben werden. An Stellen, wo es möglich war, hat man sich wieder an der Lutherbibel von 1545 orientiert. Ein Beispiel:
Lutherbibel 1984: 
„Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid?“

Lutherbibel 2017:
„Ihr Otterngezücht, wie könnt ihr Gutes reden, die ihr böse seid?“ 

Es sind 44% aller Verse verändert worden, die meisten allerdings in den apokryphen Schriften. Und um den Leuten das Lesen schmackhaft zu machen, hat die Deutsche Bibel-Gesellschaft nicht allein einige hübsche Ausgaben veröffentlicht, sondern auch eine Bibel-App, die ein Jahr lang kostenlos zu haben ist. Ich hab es ausprobiert: Auf dem Tablet liest sie sich wesentlich angenehmer als auf Papier – und es gibt mehrere Lesepläne, mit denen man binnen eines Jahres einmal in sinnvoll aufeinander abgestimmten Schritten die ganze Bibel durchlesen kann. Also: Wenn es um Glaubensdinge geht, sollte man als mündiger Christ selbständig in der Bibel nicht nur lesen können, sondern dies auch tun. Allein, damit ihr so Leute wie mich immer wieder neu prüfen könnt.
Allein aus Gnade.
Allein aus Glauben.
Allein durch Christus.
Alles allein nachzulesen in der Schrift.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.