8. Sonntag nach Trinitatis 2012: Der Tempel des Heiligen Geistes

Von Pfarrer Marvin Lange

Liebe Gemeinde,

der Kirchenvorstand hat vergangene Woche nach ziemlich mühsamen Verhandlungen beschlossen, dass wir versuchen wollen, das Bonhoeffer-Haus im unteren Bereich zukünftig an ein Spielcasino zu verpachten.  Es gab bei der sehr hitzigen Debatte weitere Überlegungen, das Kaminzimmer oben ein wenig umzubauen und künftig stundenweise an Damen eines bekannten Gewerbes zu vermieten.  Es ist bei der angespannten finanziellen Situation dringend nötig, schnell Geldmittel zu generieren. 


So können wir nicht nur ganz schnell die verbleibenden Mittel für die neue Orgel einwerben, sondern unser Bonhoeffer-Haus finanziell auch für die Zukunft absichern. Obwohl im Gottesdienstraum auch ein Restaurantbetrieb und im Saal ein Kino aufmachen könnte – dann bräuchten wir die Orgel ja eigentlich gar nicht mehr.  In dem Punkt war sich der Kirchenvorstand aber so uneins, ob wirklich alle Gottesdienste künftig draußen stattfinden könnten, dass wir diesen Punkt zur Abstimmung vertagt haben. Mir ist, das gebe ich unumwunden zu: mir wird das im Winter zu kalt sein, trotz Woll-Talars. Dann gibt es zumindest mit mir als Pfarrer eben ab dann nur noch Sommer-Gottesdienste!

Sie glauben mir nicht? Gut so!  Denn das eben Erzählte ist von mir frei erfunden, um in den heutigen Predigttext einzuführen.  Der Apostel Paulus beschreibt eine reale Situation, in der mit einem Tempel so verfahren wird, wie eben beschrieben. Und zwar nicht mit irgendeinem Tempel, sondern mit dem Tempel des Heiligen Geistes.

 (1 Korinther 6,9-20)

 9  Oder wißt ihr nicht, daß die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Laßt euch nicht irreführen! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, Ehebrecher, Lustknaben, Knabenschänder,

10 Diebe, Geizige, Trunkenbolde, Lästerer oder Räuber werden das Reich Gottes ererben.

11 Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid  reingewaschen, ihr seid  geheiligt, ihr seid  gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.

Der Leib ein Tempel des heiligen Geistes

12  Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangennehmen.

13 Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichte machen.  Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe.

 14 Gott aber  hat den Herrn auferweckt und  wird auch uns auferwecken durch seine Kraft.

 15 Wißt ihr nicht, daß eure Leiber Glieder Christi sind? Sollte ich nun die Glieder Christi nehmen und Hurenglieder daraus machen? Das sei ferne!

 16 Oder wißt ihr nicht: wer sich an die Hure hängt, der ist ein Leib mit ihr? Denn die Schrift sagt: »Die zwei werden ein Fleisch sein« (1. Mose 2,24).

 17 Wer aber dem Herrn anhängt, der ist  ein Geist mit ihm.

 18 Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, bleiben außerhalb des Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe.

 19 Oder wißt ihr nicht, daß  euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und daß ihr nicht euch selbst gehört?

 20 Denn  ihr seid teuer erkauft; darum  preist Gott mit eurem Leibe.

Liebe Gemeinde,

Worte, bei denen manch einer vielleicht am liebsten laut „ja!“ dazu gesagt hätte. Aber auch Worte, die manch anderem eher den Kopf schütteln lassen. Die Meinungen dürften auseinander gehen. Es sind ethische Weisungen des Apostels. Und die klingen in unseren Ohren sehr moralisch, manchen vielleicht sogar moralin!

„Anders betrachtet!

 Ob Paulus damit rechnete, dass seine Worte noch 2.000 Jahre später auf die Goldwaage gelegt und ausgelegt werden? Sicher nicht. Dafür war ihm die Wiederkunft des Herrn zu nahe. Was er schreibt, ist für die nächsten dreißig Jahre Gemeindeleben gedacht, aber nicht für Tausende von Jahren. Darum müssen wir auch nicht genau wissen, wie die Fronten in der Gemeinde von Korinth verliefen, die Paulus hier entschärfen will. Wir müssen nur wissen, dass Paulus, der seinen Leib wohl nicht sonderlich liebte, in diesen Worten den Körper als einen Teil des alltäglichen Gottesdienstes versteht. Es genügt nicht, nur richtig zu denken. Auch der Körper ist Tempel des Heiligen Geistes. Das sagt er sich auch selbst. Paulus, der immerzu Kränkliche, will seinen Körper aufwerten. Darum bittet er auch die Menschen in der Gemeinde. Lasst euch nicht gehen, bittet er; und: Bemüht euch, auch euren Leib lieb zu haben. Schwer genug wird es ihm selber gefallen sein. Vermutlich weiß er aber, dass man sich manches erst selber sagen muss, um es dann anderen zu sagen. Und manches gelingt besser, wenn man es sich selbst immer wieder sagt. Auch der Körper, wie immer er auch erscheint, ist eine Form des Gottesdienstes.“[1]

Liebe Gemeinde,

 nun ist es ja so, dass wir in Zeiten leben, in denen um den Körper, um den Leib, ein wahrer Kult getrieben wird. Es kann bei all den Magermodells, Brust-Implantaten und Nasenkorrekturen also kaum dabei bleiben, dass wir einfach nur alle auf unseren Körper auf eine ordentliche Art und Weise Acht geben – und Paulus dann mit uns zufrieden wäre; oder anders ausgedrückt:  dass wir diesen wunderbaren Satz, in seiner ganzen Tiefe erfassen könnten:

„Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes!“

Es geht also nicht um Wellness und Sonnenbaden, Olympischen Sport und Diätkost. Das alles ist nicht verkehrt zu tun, aber ich vermute, Paulus würde über uns lachen, wenn er uns bei unseren teilweise absurden Bemühungen beobachten könnte, für unsere Körper stets das Beste zu geben.

„Ohne Gentechnik“ lese ich schmunzelnd auf manchen Milchverpackungen. „Alles bio“ ist gut, will uns die Lobby sogenannter Grüner Industrien weismachen.  Auch „Turne in die Urne!“ könnte bald ein Werbeslogan dieses neuen Körperbewusstseins lauten.  Aber genug gefrotzelt!

Schauen wir uns den Satz des Paulus einmal genauer an: „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist!?“

1. Das Tempelgebäude

Tempel kennen wir umgangssprachlich ja eigentlich nur als Gebäude: Der längst zerstörte Jerusalemer Tempel, die Tempel der vielen tausend Hindu-Gottheiten,  die spöttisch verachteten Konsumtempel, in denen angeblich der Gott Mammon angebetet wird . Und freilich ist auch jedes Kirchengebäude ein Tempel, so also auch unser Bonhoeffer-Haus.

 (Und jetzt sitzen wir hier draußen und nicht im Tempel drin und feiern trotzdem Gottesdienst!)

Und Paulus verwendet tatsächlich Wort für das Stein- oder Holzgebäude eines Tempels, wenn er unseren Körper als Tempel beschreibt. Den Begriff Tempelgebäude verwendet Paulus ganz bewusst.  In der Sprache, in der er schreibt, dem Griechischen, gibt es noch einen zweiten Begriff für Tempel, den wir eher mit „heiligem Bereich“ oder „Heiligtum“ übersetzen würden.  Also ein Begriff, der überall da seine Berechtigung hat, wo Gott anwesend sein kann.  Denkt dabei etwa an Moses und den Brennenden Dornbusch, an die spontan gebauten Altäre der Erzväter, an den Berg Zion als Abbild des Himmels, oder auch die Waldhaine mit den Baumgottheiten der Kelten und Germanen.

 Und das, was wir hier gerade machen, so würde Paulus es sagen, das ist ein Gottesdienst in einem „Heiligtum“, und nicht in einem „Tempelgebäude“.

2. Umgang mit Tempelgebäuden

Nun spricht Paulus aber ganz bewusst vom menschlichen Körper als dem Tempelbau des Heiligen Geistes und nicht bloß von allgemein heiligen Orten.  Und es ist von großer Bedeutung, wie man mit einem Tempel umgeht. Lässt man einen Tempel langsam verfallen und vergammeln, wird er früher oder später nicht mehr benutzbar sein.  Sorgt man sich aber immer weiter um Innenausbau und Sanierung, Modernisierung und Renovierung, dann kann er für viele Jahrhunderte Bestand haben. Die großen Kathedralen des Mittelalters sind herausragende Zeugen dafür.  Mal sehen, wie viele Jahrhunderte unser Bonhoeffer-Haus Bestand haben wird – 40 Jahre sind es ja jetzt, und es wird immer weiter daran und darin gearbeitet, ausgebaut und saniert. Toiletten im Keller und Beamer-Installation, Treppen-Sanierung und Gartenarbeit: All das sind Bemühungen, unseren Tempel hier vor Ort gut in Schuss zu halten.  Aber auch dann kann es vorkommen, dass ein Tempel einem anderen Zweck zugeführt wird – meist dann, wenn die Gläubigen ausbleiben.

Aus meiner Heimatkirche in Kassel, einer Johanneskirche, ist etwa ein sehr schicker Bürokomplex des  Diakonischen Werkes geworden,  und es gibt viele Kirchen, in denen heute Restaurants und Diskotheken untergebracht sind.  Und ganz analog dazu verhält sich laut Paulus unser menschlicher Körper.  Wir gehören zu Gottes heiligem Bereich dazu, haben durch Taufe und Abendmahl, durch Glaube und Rechtfertigung, dadurch, dass Gott uns unbedingt anerkennt, Anteil an Gottes Heiligkeit.   

Da ist es dann (fast) zwingend, von unseren Körpern als von Tempelgebäuden dieses Gottes zu sprechen.  Wir sind von Gott heilig gemacht, folglich sind wir selber Heiligtümer.

Und unser Körper ist der Tempel-Bau dieses von Gott geweihten Heiligtums. Und genauso, wie man ein Kirchengebäude verrotten lassen kann, können auch wir diese aus Fleisch und Blut bestehenden menschlichen Tempelgebäude des Heiligen Geistes verrotten lassen.

Und da geht es nicht bloß um zu dick oder zu dünn, zu unsportlich oder zu asketisch.

Paulus bringt sehr drastische Beispiele dessen, was diesen Tempel schänden kann:

Wer fremdgeht, wer anderen Göttern nachläuft, Vergewaltiger, Prostituierte, Diebe, Geizige, Säufer, Lästerer, Räuber.

Ein ganzer Katalog wird uns um die Ohren gehauen mit dem, was sich für einen Tempel des Heiligen Geistes eben nicht schickt. Klar, es ist antike Moral des ausgehenden 1. Jahrhunderts, das moralische Gewicht liegt für Paulus bei sexuellen Missständen wie Päderastie und Hurerei. Doch im Wesentlichen stimmt dieser Katalog mit dem überein, was die bürgerliche Moral des 21. Jahrhunderts ebenfalls für richtig oder falsch hält.  Und dieser Katalog ließe sich freilich noch verlängern. Geht einmal die 10 Gebote durch, dann wisst ihr, worauf ich hinauswill.   

Es ist dieser Teil des Christentums, der gerade von uns Evangelischen immer wieder vergessen oder verdrängt wird: Wer glaubt, dass er von Gott geheiligt, gerechtfertigt, geliebt und unbedingt anerkannt ist,  der verfolgt damit automatisch auch eine deutliche Ethik, bei der es sehr wohl auch schwarz und weiß, richtig und falsch gibt. Das Toleranzgebot ist gut und wichtig, hört aber für einen Christen da auf, wo die eigene Toleranz entmachtet wird. Wer sich als von Gott geheiligt versteht, der tut eben gewisse Dinge nicht – und schreitet auch da ein, wo ein anderer Tempel des Heiligen Geistes missbraucht wird.  

Für einen Tempel wie das Bonhoeffer-haus geziemt es sich nicht, Räume stundenweise zu vermieten oder ein Spielcasino im Keller aufzumachen.  Weil es dem Heiligen dieses Ortes entgegen stehen würde.  Es wäre kaum erträglich, wenn wir die Abgründe des ältesten Gewerbes hier im Hause hätten – oder mitschuldig daran würden, wenn Menschen durch ihre Spielsucht ihr ganzes Vermögen an die Bank verlieren. Ich vermute, dass das allen einleuchtet. Und es leuchtet euch wahrscheinlich ebenso ein, dass man auch unter solch widrigen Umständen vom Heil Gottes, etwa in Gottesdiensten an solchen Orten, dennoch etwas erfahren könnte.

 Der Geist Gottes weht, wo er will.

Es wird nur den Menschen schwergemacht, auf ihn zu achten, wenn unter ihm die Automaten klingeln. Wie aber ist es mit den Tempeln, die ihr selber seid?  Da sind dann viele erstaunlich großzügig im Umgang mit dem Heiligen, sprich: mit sich selber.  Paulus reagiert darauf gegenüber den Korinthern sehr, sehr scharf.  Aber bei aller Schärfe doch mit einer ordentlichen Portion Vernunft.  Er kennt Grenzen, die er nicht zu überschreiten bereit ist.

Für uns heute ragt der Satz heraus (1 Kor 6,12): „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.“  Und: „Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll mich gefangen nehmen.“

Das beides zusammen kann man als eine „Goldene Regel“ des Handelns begreifen:  Ihr seid freie Menschen. Aber in diesem eurem freien Tun achtet als von Gott Geliebte darauf, Euer eigenes Tun so anzustellen, dass es dem Guten dient.  Und achtet in aller Freiheit, die ihr habt, darauf, dass euch eure Taten nicht so sehr gefangen nehmen, dass ihr nur noch euch selbst und eure Süchte und Sehnsüchte habt.    Und damit haben wir eine wunderbare Auslegung des Doppelgebotes der Liebe gefunden: „Liebe deinen Nächsten!“ Wer das beherzigt, der dient automatisch dem Guten.  „Liebe Gott von ganzem Herzen!“ Lass dich nicht gefangen nehmen von Deinem eigenen Tun. Richte stattdessen dein Herz auf Gott, auf Jesus, aus.

 Wer seinen Körper aber missbraucht und nicht im Sinne Gottes einsetzt, der muss sich die Frage gefallen lassen, wie es denn eigentlich um seinen Glauben bestellt ist: Wie gehst Du denn mit dem Heiligen um? Du schändet Deinen eigenen Tempel dadurch, dass Du Gottes Gebot missachtest.

3. Fazit

 Also: eure Körper sind Tempel des Heiligen Geistes.  Es geht nicht bloß darum, irgendwie „richtig“ zu glauben, sondern als ganze Person diesen Glauben zu verwirklichen.  Gott hat euch in eurer Taufe dazu geweiht.  Und nun ist es an euch, eure Tempel auszubauen und auszuschmücken mit dem, was Gott gefällt:  Allein an IHN sein Herz zu hängen, den nächsten zu lieben. Und dabei die eigene Tempelpflege mit im Blick zu haben!

Denn Gott und den Nächsten lieben – das kann ich nur so sehr, wie ich bereit bin, mich auch selber zu lieben. Aber mit dem Wissen, dass du ein Tempel des Heiligen Geistes bist, dürfte das leicht fallen!

Amen.


[1]Michael Becker, Werkstatt für Liturgie und Predigt Heft 5+6/2012, S.221.