6. Sonntag nach Trinitatis 2016: Teure und billige Gnade im Sakrament der Taufe (Römer 6,1-11)

Von Pfarrer i.R. Wolfgang Schmidt-Nohl
Gichenbacher Str. 15a
36129 Gersfeld-Dalherda

Predigt über Römer 6, 1-11 , 6. So.n. Trin., 3. Juli 2016, Bonhoeffergemeinde Fulda

Liebe Gemeinde!
Das bestimmende theologische Thema dieses 6. Sonntags nach Trinitatis ist die Taufe. Am vorigen Sonntag sind hier in der Bonhoefferkirche im Beisein der Gemeinde  einige Erwachsene getauft worden, die aus dem Iran zu uns gekommen waren. Sie empfingen die Heilige Taufe nach einer Phase des Unterrichts im christlichen Glauben. Diese Phase wurde von alters her „Katechumenat“ genannt. In der frühen Kirche sind bereits feste Taufsonntage dazu benannt, vor allem das Osterfest. Halten wir das einmal für das Verständnis des gehörten Abschnitts aus Römer 6 für uns fest.


In unseren sonst üblichen Gottesdiensten mit Taufen sind es im Unterschied zu jener Taufe von Erwachsenen nach empfangener Unterweisung doch überwiegend Säuglinge und Kleinkinder, die getauft werden, und die Fragen und Vorbereitungen auf eine solche Taufe sind schwerpunktmässig die Vorbereitungen auf ein familiäres Ereignis: 
welchen Namen geben wir als Eltern dem Kind? In welchem Alter soll das Kind getauft werden? Wer soll Pate werden? Was soll der Täufling anziehen? Wer hält das Kind übers Taufbecken? Wer spricht seine Namen aus? Gibt es eine Taufkerze? Werden Angehörige am Taufakt beteiligt? Wer macht Fotos? Welchen Taufspruch soll das Kind bekommen? Wie gestalten wir die anschliessende Feier? 
Bei der Frage nach einem schönen und geeigneten Taufspruch können Eltern heute auf die Möglichkeiten des Internet zurückgreifen; da erscheinen dann eine ganze Reihe möglicher Taufsprüche , aus der Bibel meist aus den Psalmen, denn dort geht es sehr oft um Engel, um Schutz, um Segen, um Führung, Leitung und Bewahrung. Bei den dort vorgeschlagenen Versen aus dem Neuen Testament tauchen Verse aus gehörten Kapitel Römer 6 allerdings auffälligerweise gar nicht auf, 
obwohl der Abschnitt doch die Taufe ausdrücklich benennt- im Unterschied etwa zu den Psalmentexten. Doch hat der Paulusabschnitt zugleich etwas Abschreckendes: in ihm ist mehrfach von Sterben und Tod die Rede. Passt das überhaupt zum Thema Taufe – wo doch viele Menschen mit der Taufe eher den Anfang des Lebens verbinden? –Allerdings gehören die Themen Leben und Tod, Sterben und Auferstehen sehr wohl zur Taufe, weil die Taufe genau daher und darin ihren Sinn und ihre Begründung hat. Denn die Taufe wäre geistlich ohne Bedeutung, wenn ihr Inhalt nicht gerade das wäre, was in Jesus Christus und mit Ihm geschehen ist. „Oder wisst ihr nicht,“ schreibt Paulus hier, „dass alle , die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in Seinen Tod getauft? So sind wir ja mit Ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.“ 
Liebe Gemeinde! Nirgendwo in seinen Briefen schreibt der Apostel Paulus mehr und genaueres über die Taufe. Wir erfahren aber auch hier nichts Verbindliches über die näheren und äusseren Umstände einer damaligen Taufe, nichts über Paten oder Gottesdienstformen, nichts über die Vorbedingungen der Taufe. Musste man z.B. erst im Glauben unterrichtet sein? Musste man vielleicht vorher eine Art Prüfung ablegen? Wie wurde die Taufe vollzogen?  Wer in der Gemeinde durfte sie durchführen? –  Wir erfahren auch nichts über die Frage, die die Christenheit bis heute brennend interessiert und sogar spaltet, nämlich die Frage, ob der Kinder-und Säuglingstaufe die Erwachsenentaufe vorzuziehen ist. Wir beachten jedoch genau die Sätze, die Paulus hier davor und danach schreibt: „Was sollen wir nun sagen? Sollen wir denn in der Sünde beharren, damit die Gnade umso mächtiger werde? Das sei ferne! Wie sollen wir in der Sünde leben wollen, der wir doch gestorben sind… (Und:) Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit Ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, so dass wir hinfort der Sünde nicht dienen….So haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus.“ – Es ist also im Zusammenhang der Taufe und ihrer Folgen ein neuer Lebenswandel beim Getauften erschienen, weil die Sünde ihre letzte Macht über ihn verloren hat. Wenn das zentral mit der Taufe zu tun hat, so ist sie der Eintritt in ein neues und radikal verändertes Leben. Diese Vorstellung gehörte dann allerdings in der Zeit des Paulus wohl eher zur Taufe eines mündigen und selbständigen Menschen als zur Taufe eines unmündigen Kindes oder gar Säuglings. Damit ist die Säuglingstaufe nicht prinzipiell infrage gestellt, wie wir noch sehen werden. Dass der Getaufte – als Erwachsener oder als Kind – in der Taufe in eine Beziehung zu Tod und Auferstehung Jesu, zu Karfreitag und Ostern gestellt wird, das war und ist unter allen Umständen das Wichtigste an der Taufe, alle anderen Dinge in und an der Taufe sind demgegenüber entweder nachgeordnet oder sogar nebensächlich. 
Wenn wir von da aus, liebe Gemeinde, nun unseren Blick noch einmal auf die Frage richten, die die Christenheit auf bestimmte Weise in zwei Lager spaltet, diesmal nicht etwa in die Trennung von evangelisch und katholisch, sondern in die zwischen Gegnern und Befürwortern der Kinder- bzw. Säuglingstaufe. Das ist eine Trennungslinie überwiegend durch die evangelische Glaubenswelt hindurch. Und es ist eine Trennungslinie, die sich auch innerhalb einer Konfession und einer Kirche abspielen kann. So wird z.B. theologisch bis heute darüber gestritten, ob Luther ein Befürworter der Kindertaufe war oder eher nicht. Ich lasse das hier einmal offen. Auch traue ich mir nicht zu, diese Frage im Blick auf Paulus entschieden zu beantworten. Es gibt für mich zwar eine Reihe von Beobachtungen im Blick auf das Neue Testament, die für die frühchristliche Kindertaufe sprechen, – ich denke etwa an die Kindersegnung durch Jesus oder daran, dass es mehrfach heisst, dass sich jemand mit seinem ganzen Hause taufen liess –  aber das tatsächliche Vorkommen der Kindertaufe in der Urkirche beweisen kann ich damit nicht.
                                                                                                                   Die theologisch ernsthaften Vertreter der Säuglingstaufe – also die, die nicht in erster Linie vom Interesse der leichten Gewinnung von Kirchenmitgliedern geleitet werden – denken mehr von der Entscheidung Gottes für den Menschen her ; die Vertreter der Erwachsenen- und Grosstaufe denken mehr von der Entscheidung des Menschen für Gott her. Welche der beiden Positionen dem Willen Gottes und Christi entspricht, werden wir zu irdischen Lebzeiten wohl nicht mit letzter Gewissheit bestimmen können. Mir ist dabei klar, dass sich die beiden Positionen bei Missbrauch jeweils nach zwei Seiten hin an einem geistlichen Abgrund bewegen: die Gross- und Erwachsenentaufe steht in der Versuchung der Selbst- und Werkgerechtigkeit, also einer Form menschlicher Selbstüberschätzung,  und die Säuglingstaufe steht in der Versuchung und Gefahr der billigen Gnade. – Liebe Gemeinde: die Rede von Unterschied zwischen der billigen und der teuren Gnade geht ja auf Dietrich Bonhoeffers Buch „Nachfolge“ von 1937 zurück. Teuer ist nach seiner Auffassung die Gnade Gottes, weil sie von Gott im Kreuz Jesu teuer erworben wurde. Genau davon spricht ja Paulus mehrfach und durchgängig hier in Römer 6. Gleich zu Anfang des Kapitels wehrt er sich gegen die billige Gnade: „Was sollen wir nun sagen? Sollen wir denn in der Sünde beharren, damit die Gnade um so mächtiger werde? – Das sei ferne! Wie sollen wir in der Sünde leben wollen, der wir doch gestorben sind?“ Und später: „ Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit Christus gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, so dass wir hinfort der Sünde nicht dienen. (V.6) – Die Teilhabe an Christus bedeutet eben auch: ein neues Geschöpf werden, an der Auferstehung Jesu auch dadurch teilhaben, indem unser Leben neu wird. Es trägt schon die Züge des Kommenden. Das ist es, was das Neue Testament „Heiligung“ nennt. Die zu Jesus gehören, bleiben nicht einfach, was sie ohne Ihn waren. 
Was für ein gewaltiger Gedanke:  zu Jesus Christus und damit zur Familie Gottes zu gehören! Denn so gross ist ja das Geschenk Gottes der Taufe, weil Er uns darin für immer zu Seinen Kindern erklärt! Darum ist die Taufe so wichtig und unerlässlich. Eine stärkere Besiegelung unserer Gotteskindschaft kenne ich nicht. 
Ein Sakrament ist die Taufe, ein medium salutis, wie die alten Dogmatiken sagen, ein „Mittel des Heils“ . Und damit ein Mittel zum Ewigen Leben.                                                                              
                                                    
Der Vers 4 unseres Abschnitts sagt nach meiner Einschätzung das Wesentliche über das Sakrament überhaupt: „ So sind wir ja mit Ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.“
Für den Theologen Karl Barth gab es überhaupt nur ein einziges Sakrament: nämlich das Geschehen des Kreuzes und der Auferstehung Jesu Christi. Denn Kreuz und Auferstehung Jesu sind der einzige reale Grund der Versöhnung zwischen Gott und uns – und damit ist der Weg zu unserem Ewigen Heil frei und offen. Das ist der erste und letzte Sinn des Sakraments. Dieses Geschehen wird uns in Gottes lebendigem Wort zugesprochen und kann von uns im Glauben ergriffen werden. Bei diesem Wort Gottes unterschieden die evangelischen Reformatoren zwischen dem verbum visibile und dem verbum invisibile, zwischen dem sichtbaren Wort und dem unsichtbaren Wort. Zu dem sichtbaren Wort gehören die Sakramente Taufe und Abendmahl. In ihnen wird dir und mir je einzeln und unverwechselbar die Gnade Gottes persönlich zugesprochen und zugesagt, die uns im Wort Gottes verkündigt wird und die wir im Glauben für uns annehmen. Darin geht es also nicht nur um eine allgemeine Glaubenserkenntnis über Gott und den Menschen, sondern es geht darum genau um dein und mein Heil , deine und meine Zugehörigkeit zu Gott und Christus. Weil das Kreuz und die Auferstehung des Sohnes ganz das Werk Gottes sind, zu dem wir ganz und gar nichts beitragen können, darum sind auch die Sakramente , in denen uns diese Gnade Gottes zuteil werden, ganz Seine Gabe und ganz Sein Geschenk. Das ist der tiefste Grund dafür , dass wir ohne Bedenken und in großer Freude Erwachsene und Kinder taufen, um ihnen die Gnade Gottes und Seinen Bund zuzusprechen. Das Wort des Herrn klingt dazu in unseren Ohren und Herzen nach: „Laßt die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes.“ (Mark.10,14) Und: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker. Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. – Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Amen.                                             

Psalm 139 (EG 754)

Lesung Evang. : Matth.28,16-20

Lieder EG:
133,1+11
444,1-5
256,1+2+5
200,1-4
200,5+6