5. Sonntag nach Trinitatis 2016: Leiden für die Torheit des Kreuzes (1. Kor 1,18-25)

von Pfarrer Marvin Lange

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im ersten Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth im ersten Kapitel.
Der Apostel schreibt:


PREDIGTTEXT 1. KOR 1,18-25

18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen,  die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist’s  eine Gotteskraft.
19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«
20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt?  Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?
21 Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.
22 Denn  die Juden fordern Zeichen, und  die Griechen fragen nach Weisheit,
23 wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein  Ärgernis und den Griechen eine  Torheit;
24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und  Gottes Weisheit.
25 Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

1.    Fußballfans
Liebe Gemeinde,
•    jetzt muss ich Euch erst einmal etwas fragen. Wer von Euch schaut zur Zeit die EM-Spiele mit deutscher Beteiligung? (Meldungen abwarten) 
•    Wer von Euch versucht, möglichst viele Spiele mitzuschauen, auch wenn da nicht Deutschland mitspielt? (das sind wohl die echten, eingefleischten Fans!)
•    Und jetzt das Bekenntnis: Wer von euch vermeidet die Fußballspiele, hat darauf so gar keine Lust? (wieder Meldungen abwarten)

Man kann da gewisse Grade an Begeisterung ablesen. 
Da gibt es diejenigen, die alle Bundesligaspiele, möglichst viele EM-Spiele verfolgen. Die die Namen der Spieler kennen, die genau wissen, welcher Verein, auf welchem Tabellenplatz steht, oder welches Land jetzt gerade die besten Spieler hat.
Solche Leute sind echte Fußballbekenner, und die tummeln sich auf öfter mal im Stadion. Natürlich dann möglichst bei „ihrem“ Verein.
Und dann sind da diejenigen, die sich ab und an mal ein wenig interessieren, die gern mal einschalten, die auch zu einem Verein halten, aber wenn sie was verpassen, ist das nicht weiter tragisch.

Und dann gibt es diejenigen  (wie etwa mich), die vor 30 Jahren mit dem Vater ins Stadion mitgenommen wurden. Und die recht schnell gemerkt haben: Boah, ist das öde, 22 Menschen zuzugucken, wie sie hinter einem Ball herlaufen.
Bei mir ist das Ganze dann im Sommer 2006 in Folklore ungekippt. Seitdem bin ich Deutschland-Fan, versuche, die Deutschland-Spiele anzuschauen – aber eigentlich geht es mir mehr um die Freude der anderen. Die Emotionalität vor den Leinwänden (auch heute Abend wieder hier im Bonhoeffer-Haus, habe ich gehört), der Jubel, wenn Deutschland ein Tor macht.
Schade, wenn wir raus fliegen: Dann ist die Party vorbei.

Und dann sind da die Fußball-Muffel. Die wegschalten, weghören, sobald das Thema aufkommt.
Und zwischen den Extremen sind unglaublich viele weitere Abstufungen im Fußball-Bekenntnis.

Zusammenfassung 1  Moji auf Persisch:
Im Moment ist Fußball-Europa-Meisterschaft (EM 2016). Wer schaut alle Spiele? Wer interessiert sich nur ein bisschen? Wem ist es total egal? Für manche ist es sehr wichtig, wie ein Bekenntnis (confession), zu wem man hält. 


2.    Gottesdienstfans
Ähnlich können wir Gottesdienstfans beschreiben.
Da gibt es auch diejenigen, die mit 13 Jahren von den Eltern zum Konfirmandenunterricht geschickt wurden – und die dann recht schnell merken: Kirche, nein Danke. Das ist nichts für mich. Wenn ich groß bin, trete ich sofort aus; und das dann auch tun.
Die können wir vergleichen mit den Fußball-Muffeln.

Und dann sind da die Gelegenheitszuschauer. Diejenigen, die man bei der Konfirmation, der Trauung, der Taufe der Kinder, später auch der Enkel und zuletzt wieder bei der Beerdigung sieht. Treue Fans, wenn es um die eigene Sache geht, aber nicht wirklich am großen Ganzen interessiert.
Beim Fußball schalten sie nur dann ein, wenn Deutschland im Finale steht.

Dann haben wir die Weihnachtschristen (oder Weihnachts- plus Osterchristen). Sie wissen, welche Leute ich meine. Einmal im Jahr ist Gottesdienst! Die kommen gerne! Das ist so schön heimelig, das ist Tradition.
Die sind vergleichbar mit den EM-Begeisterten, die auf der Welle der Emotionalität reiten, für die Kirche reine Folklore ist.

Und dann sind da diejenigen, die echte Gottesdienstkultur leben. Die jeden Sonntag da sind. Die Bescheid wissen, bei welchem Pfarrer man gehen sollte (und wo man auch mal im Bett liegen bleiben darf) und welche Lektorin besser ist als mancher langjährige Prediger.
Die für ihre Sache glühen, die manche Bibeltexte mitsprechen könne, die den Psalm und die Lieder im Gesangbuch schneller aufschlagen können als ich.
Vergleichen können wir die mit den Bundesliga-Abonnementen, die so oft es geht nach Frankfurt fahren, um ihren Verein spielen zu sehen.

Das sind so allesamt die Gruppen, die wir kennen – und der Vergleich mit dem Fußball liegt nahe, da man sich selbst sofort verorten kann und dann mit einem Lächeln im Gesicht einmal abgleicht, wie das eigene Herz für Gott, den Gottesdienst und den Glauben schlägt.

„Wir predigen den gekreuzigten Christus.“
Das ist eine Zumutung für viele – nach wie vor, und das war auch schon beim Apostel Paulus so. 
Eine Torheit den Weisen und Verständigen, schrieb er an die Korinther.
Er konnte noch nicht wissen, wie die Verständigen, die Kaiser des alten Rom mit ihren Beraterstäben, später versuchten, diese Torheit des Christentums zu vernichten. In den Arenen mit Löwen und Gladiatoren, wo die Christen um dieser Torheit willen dann öffentlich ermordet wurden.

Zusammenfassung Moji 2 auf Persisch:
Mit Fußballfans kann man die Christen vergleichen: einige gehen nie zum Gottesdienst. Manche gehen nur einmal im Jahr (meistens an Weihnachten), andere einmal im Monat, wieder andere jede Woche. Warum gehen manche so selten oder nie? Ich denke: Weil sie das Christentum nicht verstehen – oder es nicht verstehen wollen. „Wir predigen den gekreuzigten Christus“, hat der Apostel Paulus (persisch „Puls“?) geschrieben. Das finden viele doof und unverständlich. Gott soll immer nur der Größte sein (Allahu Akbar!), nicht einer, der am Kreuz gestorben ist.


3.    Das Leiden der neuen Christen
Der gekreuzigte Christus: Das ist im Bereich unserer weit verbreiteten Wohlfühlreligion Weihnachtschristentum ebenfalls ein Ärgernis. Aber ein solches, das man in der heutigen Zeit einfach ignoriert. Kirche ist Kulturträger, lässt schöne Bachkantaten aufführen, die meisten Predigten sind lammfromm und zahnlos. 
Man nimmt die Kirche nicht wirklich Ernst mit dem, was sie verkündet.
Aber wir bewegen uns in Zeiten, in denen das Bekenntnis zu Christus wieder gefährlich wird.
Wir haben hier vier neue Christen. Eben habe ich sie getauft. Sie sind aus dem Iran hierhergekommen. Sie sind vor dem Islamischen Ayatolla-Regime geflohen. 
Einige haben sich heimlich mit dem Christentum beschäftigt. Andere sind einfach nur gegangen, weil sie die Umstände im theokratischen Faschismus nicht mehr ertragen konnten.
Sie sind auf mich und Pfarrer Pfeifer zugegangen. Sie möchten etwas über das Christentum lernen.
An Karfreitag ging es los mit einer Wanderung durch Kälte und Regen. Über 20 Iraner waren damals dabei.
Einige sind da schon ausgestiegen. 
Dann trafen wir uns wöchentlich. Gaben Unterricht in der christlichen Religion.
Führten sie ein in die Grundlagen von Ethik und Dogmatik. 
„Was ist eure Scharia“, wurde ich immer wieder gefragt. 
„Liebe Gott von ganzem Herzen. Und liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, war stets unsere Antwort. 
Fassungslos und staunend hörten die verbliebenen elf zu, dass es im Christentum um die Freiheit des einzelnen Gewissens geht, dass es eben keine Regeln gibt, die einfach nur umgesetzt werden müssen.
Auch die 10 Gebote sind nichts weiter als eine Anregung, dieses doppelte Liebesgebot umzusetzen. 
Überrascht waren sie, als sie hörten, dass man „einfach so“ aus der Kirche austreten darf, ohne Gefängsnisstrafe oder das Gehängtwerden fürchten zu müssen, wie es der Iran für vom Glauben abgefallene praktiziert.
Und gelehrig haben sie aufgesogen, wie man mit der Bibel umgehen kann, was das Abendmahl und was die Taufe bedeuten.
11 Spieler sind seit Karfreitag geblieben. 5 wurden letzten Sonntag in der Johanneskirche getauft. Vier taufen wir heute.
Doch das Wort vom Kreuz stößt in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft auf breiten Widerstand.
Und dafür, was jetzt kommt, hinkt der Vergleich mit dem Fußball.
Meine Iraner werden nicht in Frieden gelassen. Der Ramadan überschattet alles im Flüchtlingsheim in der Daimler-Benz-Straße.
Die Frauen werden angemacht, sie mögen sich doch islamisch verhüllen. Den Männern wird nahegelegt, am islamischen Gebet teilzunehmen. Ärger gibt es immer wieder, wenn fastende Muslime am Tag essende Neu-Christen beim Essen und Trinken erwischen.
In der Schule lebt man auf engstem Raum miteinander. 
Ab Sonnenuntergang dürfen Muslime etwas essen bis zum Sonnenaufgang. Während der Nacht werden die Lautsprecher aufgedreht, aus denen Koransuren durch die Gänge schallen. 
An Schlaf ist da nicht zu denken. 

Sich zu outen, dass man Christ ist, ist undenkbar und gefährlich.
Unsere neuen Christen leben ihr Christsein im Verborgenen. 
Sie kommen heimlich hierher, wie damals die verfolgte Gemeinde in Rom.
Sie tun weiterhin so, als seien sie schlechte Muslime, um keine Gewalt herauf zu beschwören. Bei einem Verhältnis von 1:5 hält man lieber den Mund, duckt sich weg.
Sich stolz zu bekennen, ein Christ zu sein, ist lebensgefährlich.

Ich habe die Polizei verständigt. Man könne nichts machen, wurde mir gesagt. Nur wenn direkt etwas vorliegt, kann die Polizei etwas tun. 
Die Neuchristen hier trauen sich nicht, die Polizei zu rufen. Und die Sprachbarriere ist ein schlimmes Hindernis.
Und wenn die Polizei dann kommt? Dann bitten freundliche Beamte darum, bitte nett miteinander umzugehen und verschwinden wieder.
Landrat Woide und Dekan Seeberg sind verständigt – vielleicht kümmern diese sich darum.

Worauf ich hinaus will: Die Torheit vom Kreuz, das wahre Christentum, ist eben wenn´s Ernst nicht zu vergleichen mit Fußballfans. 
Das war einmal. 
Die Bandagen, mit denen der Kampf des Glaubens geführt wird in unserem Land, wird wieder härter.
Christen werden wieder bedroht dafür, dass sie Jesus als Gottes Sohn bekennen. 
Christen werden diskriminiert, weil sie ihre alte Religion, in dem Fall den Islam, hinter sich gelassen haben.
Christen wird eben kein Schutz gewährt, weil sie von ihrem im Grundgesetz verankerten Menschenrecht der Religionsfreiheit Gebrauch machen.

Zusammenfassung 3 Moji auf Persisch
Doch das Kreuz und der Tod von Jesus sind wichtig, um das Christentum zu verstehen. Jesus leidet für uns. Er starb am Kreuz für uns. Und wir heutigen Christen müssen uns einer Wahrheit stellen: Es gibt Christen, die diskriminiert werden, weil sie an Jesus als Gottes Sohn glauben. Im Flüchtlingsheim in der Daimler-Benz-Str. ist das ein Problem mit dem Ramadan und den neu getauften Christen aus dem Iran. 
Ihr Perser: Wie könnt ihr stolz sein auf euren neuen Glauben, auf das Christentum, wenn ihr verfolgt werdet? Das ist schwer und ihr braucht andere Christen, eine Gemeinde: Ihr braucht dafür die Bonhoeffer-Gemeinde, um das durchzustehen (to go through this)!


4.    Torheit Gottes/Schwachheit Gottes
Ich habe keine Antwort darauf, wie es weitergehen könnte. Ich weiß auch nicht, wie man mehr tun könnte. Vielleicht rufen Sie mal in der Ausländerbehörde an und erzählen davon, was ich Euch gerade erzähle.
Vielleicht kommt die Ausländerbehörde ihrer Fürsorgepflicht dann etwas besser nach, wenn viele Leute sich beschweren. 
Wenn wir Christen zusammen halten.
Wenn wir unserer „Scharia“ folgen: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
Das Beispiel aus der Daimler-Benz-Straße ist nur ein kleines Flüchtlingsheim hier in Fulda. Ich weiß von den Zuständen in Berlin, die ähnlich, allerdings noch etwas schlimmer sind, für konvertierte Christen.

Paulus schließt den Predigtabschnitt ab mit einem Satz, der Hoffnung macht.
„Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.“

Egal, was wir uns überlegen, um zu helfen. Auch egal, wie gemein unseren neuen Christen mitgespielt wird – Gott bleibt am Ende Sieger. Seine Torheit ist weiser, seine Schwachheit ist stärker als jeder Mensch es je sein könnte.

Insofern ist unseren neuen Christen wahrscheinlich schon damit gedient, wenn wir sie hier im Bonhoeffer-Haus freundlich aufnehmen, ihnen unsere Ohren leihen, nicht für sie etwas tun, sondern mit ihnen etwas tun.
Heute sind wir zum Essen eingeladen. Seit gestern früh dampften die Töpfe und Pfannen. Das kann eine gute Sache werden. 
Für mich ist eine echte Freundschaft daraus entstanden.
Was für eine Torheit, wenn wir diese Gelegenheit nicht annehmen würden, die Gott uns gerade zugetragen hat!
Als würde die Nationalelf keine Lust haben, einen Elfmeter zu versenken.

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinn ein Christus Jesus. Amen.

Zusammenfassung 4  Moji auf Persisch
Wir Christen haben nur eine „Scharia“. Diese lautet:
„Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen.“ Und: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
Deswegen, ihr alteingesessenen Christen: Ihr müsst euch beschweren. Ruft bei der Ausländerbehörde an, erzählt davon, was ihr gerade hört. Sagt ihnen, dass die Religionsfreiheit im Flüchtlingsheim nicht eingehalten wird. Gemeinsam sind wir als Christen stark!
Und ihr neuen Christen aus Persien: Lernt Deutsch, damit ihr hier gut leben könnt! Jeden Tag acht Stunden lernen sollte es sein! Damit ihr gute Berufe findet und nicht schlechte! Damit ihr die Nächsten hier versteht – und dann auch lieben könnt!
Und: Egal wie stark die Menschen sich zeigen und wenn sie euch angreifen; auch egal, wie schwach (weak) wir sind: Gottes Schwachheit (Weakness of God!) ist stärker als alle Kraft der Menschen zusammen (1 Kor 1,25)! Wir  bekommen von Gott die nötige Kraft durch Jesus Christus, unseren Herrn! Amen.


PREDIGTLIED EG 136,1-4: O KOMM DU GEIST DER WAHRHEIT