22. Sonntag nach Trinitatis 2016: Die Bekehrung des Paulus (Apg 9,1-21)

Pfarrer i.R. Wolfgang Schmidt-Nohl
Gichenbacher Str. 15a
36129 Gersfeld-Dalherda

Predigt über Apostelgeschichte 9, 1-21, 23. Oktober 2016, Bonhoeffergemeinde

VERLESUNG DES ABSCHNITTS NACH REV. LUTHERBIBEL

Liebe Gemeinde!
Mein Schwiegervater August Nohl, Forstbeamter, nannte den Moment, als der Apostel Paulus seinen Fuß zum ersten Mal auf den Boden Europas setzte, eine „Sternstunde der Menschheit“. Gemeint war von ihm die Überfahrt des Paulus von Troas in Kleinasien, der heutigen Türkei, über die Insel Samothrake und Neapolis nach Philippi in Griechenland, wo aufgrund der Mission durch Paulus die erste Gemeinde Jesu Christi auf europäischem Boden gegründet wurde. (Apg.16) 


Die archäologische Stätte Philippis wurde übrigens im Juli 2016 u.A. als Ort der ältesten europäischen christlichen Gemeinde  zum UNESCO-Welterbe erklärt.
Die eben gehörte  Geschichte , in der Saulus von Tarsus vom Gegner und Verfolger der Gemeinde Jesu zum Anhänger und Apostel Jesu Christi wird, wurde am Ende eine Geschichte mit riesiger Wirkung. Denn der Apostel, der den Namen Paulus trägt, hat durch seine missionarische und theologische Lebensleistung ganz entscheidend dazu beigetragen, dass der Glaube an Jesus Christus so weitergetragen wurde, dass er zu den damaligen Heiden und damit zu unseren Vorfahren und schliesslich zu uns gelangte. 
Was wir über die Herkunft des Saulus bzw. Paulus und über sein Leben wissen, stammt aus seinen eigenen im Neuen Testament überlieferten Briefen und aus der Apostelgeschichte, aus der wir diese Geschichte von seiner Bekehrung hörten.
Aus all diesen Texten wissen wir: Saulus wuchs als Diasporajude auf, und zwar in Tarsus am Mittelmeer, der Hauptstadt der damaligen römischen Provinz Kilikien. Die Stadt war bekannt für ihre hohe griechische Bildung. Paulus´ Familie war wohl vermögend genug, das römische Bürgerrecht zu erwerben. Deshalb trug Saulus nicht nur den Namen des israelitischen Königs Saul, sondern auch den römisch-griechischen Namen Paulus (übersetzt: „der Kleine“) , den er später für sich selbst in seinen Briefen gebraucht.  Als Beruf erlernte er den des Zeltmachers; wir würden das heute etwa Sattler nennen . Er hat dieses Handwerk auch noch später als Apostel und Missionar ausgeübt. Saulus war ausserdem umfassend gebildet, und wir dürfen davon ausgehen, dass seine genaue Kenntnis des jüdischen Gesetzes u.A. durch den Unterricht bei dem berühmten jüdischen Lehrer Gamaliel in Jerusalem  bedingt war. (Apg.22,3) Saulus zählte sich im Judentum zu der Gruppe der Pharisäer. Er  befolgte streng die Vorschriften des jüdischen Gesetzes , der Thora, also der 5 Büchern Mose und deren Auslegungen. 
Wir fragen schon an dieser Stelle: warum wurde er als junger Mann denn ein so entschiedener Gegner und Feind der Anhänger und der Gemeinde Jesu? Warum wurde er es so sehr, dass er die Anhänger und Jünger Jesu regelrecht verfolgte? 
Die Christen, die er verfolgte, werden in unserem heutigen Predigttext „die Anhänger des  n e u e n  Weges“ genannt.  N e u und provokativ und deshalb zu bekämpfen war für die Pharisäer und war für Saulus die Gesetzesauslegung Jesu gewesen, Seine Auslegung  im Geist der Vollmacht Gottes und im Geist der Liebe und nicht im Geist des Buchstabens. Und diese Auslegung wurde von den Jüngern und Anhängern Jesu nun weitergetragen – noch dazu mit der ungeheuren Behauptung, dass Jesus – der für Seine Gegner ein zu Recht zum Tode verurteilter Gesetzesbrecher gewesen war – am Ostermorgen von den Toten auferstanden sei.  
In seinem Zorn auf diesen Glauben bzw. in seiner Auffassung Irrglauben liess sich der junge Pharisäer Saulus in Jerusalem vom Hohen Rat eine Vollmacht dazu geben, die Jünger Jesu in der Synagoge in Damaskus im Norden aufzuspüren und gefangen nach Jerusalem zu bringen. Aber es kam alles ganz anders!
 – Auf dem Weg nach Damaskus tritt der Auferstandene Jesus selbst ihm entgegen. Ein Licht vom Himmel umleuchtet den Saulus so stark, dass er zu Boden stürzt. In der Kunst der Malerei ist das manchmal als Sturz von einem Pferd, von einem hohen Ross, dargestellt.
 Und dann hört er eine Stimme: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“  – Auf die Frage: „Herr, wer bist du“ , bekommt Saulus zur Antwort: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“  Indem also Saulus die Gemeinde Jesu verfolgt, verfolgt er Jesus selbst.  Das macht ihm der Auferstandene hier klar. Jahre später wird Paulus über seine Begegnung mit dem Auferstandenen den Korinthern schreiben: „ Zuletzt ist Christus auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heisse, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich , was ich bin. „(1.Kor15,8ff)
In dieser Begegnung mit Jesus selbst geht zunächst alles zuende und zugrunde, was vorher der Verfolger Saulus war. Noch hat er nicht den neuen Auftrag, den Christus ihm für sein gesamtes weiteres Leben geben wird. Noch ist er nicht der Apostel Saulus-Paulus. Im Moment ist er vielmehr gar nichts. Er steht am Rande seiner Existenz überhaupt. Er kann wohl noch aufstehen, aber er sieht nichts mehr. Das ist er nicht gewohnt und darum ist er völlig hilflos.  Er muss von jemand anderem nach Damaskus geführt werden.  Dorthin führt ihn nun nicht mehr sein eigener Entschluss, sondern der Befehl des Herrn. Er sagt ihm: „Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.“ Jesus verweist ihn so schliesslich an Seine Gemeinde. Und es ist genau die Gemeinde, die Saulus vorher gehasst und verfolgt hat. 
Zunächst ist Saulus in seiner gesamten Existenz so am Boden zerstört, dass er drei Tage lang nicht einmal isst oder trinkt.  
Dann aber bringt der Herr Jesus Christus Seine Gemeinde ins Spiel – zuerst in Gestalt des Hananias, dem wir im Neuen Testament nur hier begegnen, ein Mann, der kein erkennbares kirchliches Amt innehat. Von ihm heisst es nur: Er ist „ein Jünger Jesu“. Hananias zögert einen Moment, als ihm der Herr ausgerechnet diesen Saulus zur Aufgabe stellt, denn die Gemeinde fürchtet sich inzwischen vor diesem Verfolger Saulus. Und das ist auf jeden Fall sehr verständlich! Wir müßten uns heute einmal vorstellen, liebe Gemeinde: irgendwo im Nahen Osten, etwa in Syrien, käme ein IS-Terrorist zu einer vom IS blutig verfolgten christlichen Gemeinde und begehrte Einlass und zukünftige Mitgliedschaft. Könnte man und würde man ihm auf Anhieb glauben, dass er sich radikal geändert hat? – Doch wohl eher nicht! 
Aber der Herr sagt dem Hananias über den bisherigen Verfolger Saulus: „Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug.“ 
Und Er sagt ausserdem – und auch das wird eine Überschrift über dem weiteren Weg des Saulus sein: –  „Ich will ihm zeigen, wieviel er   l e i d e n  muss um meines Namens willen.“
Weiter wird erzählt:
„Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werdest. Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend; und er stand auf , liess sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte sich. Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.“ – Die Gemeinde, die er verfolgt hatte, nimmt ihn nun tatsächlich als ihren Bruder auf.
Und übergangslos beginnt Saulus nun die Tätigkeit, der sein ganzes weiteres Leben gehören wird: Jesus Christus zu verkündigen und Ihm zu dienen.
In seinen späteren Briefen macht er deutlich, dass der Inhalt seiner Botschaft und Verkündigung nicht von M e n s c h e n  stammt, dass er sich also das Evangelium nicht durch so etwas wie Unterricht angeeignet hat. Im Galaterbrief schreibt er:  „Denn ich tue euch kund.., dass das Evangelium, das von mir gepredigt ist, nicht von menschlicher Art ist. Denn ich habe es nicht von einem Menschen empfangen oder gelernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi.“ (1,11f)
Diesen Unterschied des Saulus-Paulus zu uns, liebe Gemeinde, können wir getrost respektieren und stehenlassen. Es war wirklich so, dass Jesus Christus diesen Mann für diese besondere Aufgabe von Geburt an erwählt hat.  (Gal.1,15f) Paulus wird nie aufhören zu betonen, dass diese Erwählung gerade nicht  s e i n  Verdienst ist, sondern die reine Gnade Gottes.
Und es gilt ebenso das Andere, was in unserem Predigabschnitt bereits gesagt von Jesus gesagt wird: „ Ich will ihm zeigen, wieviel er leiden muss um meines Namens willen.“
Denn, liebe Gemeinde, das ganze weitere Leben dieses Apostels wird ein Leben auf der  G r e n z e   sein, und zwar in dreifacher Hinsicht:
Paulus wird zum  E r s t e n  hin- und hergerissen werden auf der  G r e n z e  zwischen I s r a e l  und der christlichen  G e m e i n d e . Er wird zeitlebens schwer darunter leiden, dass das jüdische Volk – und damit das Volk und der Glaube , aus denen er selbst stammt! – Christus mehrheitlich nicht als Herrn und Gottessohn annimmt. Besonders die Kapitel 9-11 seines Römerbriefs geben ein lebendiges Zeugnis von seiner nie beendeten Liebe zu seinem Volk, für das Paulus dessen Unglauben gegenüber Christus zum Trotz an der Liebe Gottes festhält. Gott wird Seine erste Liebe Israel nie fallen lassen. Dessen ist Paulus gewiss.

Das Leben des Paulus ist zum  Z w e i t e n  ein Leben auf der  G r e n z e  zwischen der Vollmacht der Berufung Apostel Jesu Christi auf der einen Seite und der immer wiederkehrenden Bestreitung seines Apostelamtes durch andere Jünger andererseits. Dieser Konflikt zeichnet sich im letzten Vers unseres Predigttextes schon ab, wo als Reaktion auf Paulus´erste Predigttätigkeit in Damaskus geschildert wird: „ Alle aber, die es hörten, entsetzten sich und sprachen: Ist das nicht der, der in  Jerusalem alle vernichten wollte, die diesen Namen anrufen, und ist er nicht deshalb hierhergekommen, dass er sie gefesselt zu den Hohepriestern führe?“ (V.21)-  Ständig und sein Leben lang mußte sich Paulus mit der Bestreitung seiner apostolischen Autorität auseinandersetzen , wie er sie aus Kreisen der Gemeinden Jesu erfuhr – sogar in Auseinandersetzung mit Simon Petrus und den anderen ersten Jüngern Jesu, besonders, als um die Frage der Verbindlichkeit oder Nichtverbindlichkeit des jüdischen Gesetzes für gläubig gewordene und getaufte Christen aus nichtjüdischen und also aus heidnischen Völkern ging.

Und das Leben des Apostels Paulus war zum  D r i t t e n  ein Leben auf der G r e n z e  zwischen Vollmacht und Ohnmacht, zwischen Kraft und Schwäche, zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Leben und Tod . Er mußte erfahren, dass er vom Herrn immer gerade nur soviel Kraft erhielt, wie er für seinen grossen Auftrag brauchte . Auf seine Bitte hin, von seiner schweren Krankheit geheilt zu werden, erhielt er die Antwort des Herrn: „ Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig .“ (2.Kor12,9) Entsprechend schreibt Paulus: „Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Denn ich bin guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin so bin ich stark.“ (V.9bf.)
Neben dem Licht Jesu Christi, das dem Saulus vor Damaskus zum ersten Mal aufging und das seinen Weg hell machte, erlebte er immer wieder auch die Finsternis, die diesem Licht vorausgegangen war. (s.bes. Römer 7) Er mußte erfahren, dass trotz dieser Erleuchtung im Angesicht Jesu Christi (s.2.Kor.4,6) wir diesen Schatz des Evangeliums in irdenen und zerbrechlichen Gefässen haben (s.dort V.7ff.), dass wir auch das Sterben Jesu an unserem Leibe tragen, dass unser Wissen und unsere Erkenntnis noch Stückwerk sind und dass wir von der Herrlichkeit Gottes jetzt erst nur soviel sehen wie ein dunkles Bild in einem matten Spiegel (s. 1.Kor.13). Paulus weiß aber gleichzeitig , dass am Ende Gottes Licht stärker sein wird als alles, was jetzt noch diesem Licht entgegensteht. Diesen Glauben und diese Hoffnung und diese Liebe Gottes spricht dieser Apostel durch sein Lebenswerk  u n s zu , einer jeden und einem jeden von uns, die wir durch die Taufe diesem Jesus Christus gehören. Die Taufe war ja bei Saulus das Erste, was er nach seiner Bekehrung zu Christus begehrte und an sich vollziehen liess. Die Taufe war und ist die Grundlage , „in Christus“ zu sein und zu leben. Von diesem „in Christus sein“ wird Paulus  immer wieder reden und schreiben. Es bedeutet, am Kreuz und an der Auferstehung Jesu Anteil zu haben. Sein Kreuz stellt den Tod und das Leben nebeneinander , um deutlich zu machen, dass Sein Leben uns allen zugute kommt. Im Römerbrief schreibt er über die Taufe: „ Oder wißt ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in Seinen Tod getauft? So sind wir ja mit Ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.“ (Röm.6,3f) 
Liebe Gemeinde! Wir tragen die Merkmale des Sterbens Jesu in mancherlei Weise mit uns herum, damit in allem auch das Leben Jesu uns zugute kommt. So verläuft  – wie bei Paulus – auch unser Leben auf der  G r e n z e von Licht und Finsternis, auf der Grenze von Kraft und Ohnmacht, auf der Grenze von Erfolg und Mißerfolg, auf der Grenze von Gesundheit und Krankheit,  und auf der Grenze zwischen Tod und Leben. Und insofern unser Leben durch die Taufe und den Glauben „in Christus“ ist, behalten die Kraft und das Leben die Oberhand. So nahe ist Er uns gekommen – und so nahe dürfen wir Ihm sein! Die Taufe ist uns das verläßliche Zeichen und Siegel dieser Nähe und dieser umfassenden Liebe Gottes. Und im Glauben nehmen wir diese Nähe Gottes und Jesu Christi zu uns an. Amen.