20. Sonntag nach Trinitatis 2012: Ewige Liebe (1 Kor 7,29-31)

Von Pfarrer Marvin Lange

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus

und die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit euch allen.

1 Kor 7,29-31:

29 Das sage ich aber, liebe Brüder:  Die Zeit ist kurz. Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein,  als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht;

30 und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht;

31 und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht.  Denn das Wesen dieser Welt vergeht.


Liebe Gemeinde,

bei Trauungen im Vorgespräch erlebe ich es im besten Falle, dass Brautpaare mir etwas von ihrer Liebe preisgeben, so dass ich verstehen kann, was am je anderen so besonders ist.

Wenn so ein Gespräch gut läuft, dann erzählen mir Braut und Bräutigam etwas von den wahren Beweggründen für ihre Beziehung und warum er bzw. sie es sein soll und sonst kein anderer mehr.

In einem Fall, an das ich mich besonders gut erinnern kann, da geriet die zukünftige Ehefrau sehr, sehr, sehr ins Schwärmen.

Sie redete unablässig von „Ewiger Liebe“ und davon, dass man verheiratet die Gewissheit hat, dass man wirklich zusammengehört.

Dem Bräutigam war das wohl ein wenig peinlich, so dass er sie irgendwann stoppte: „Na ja, es heisst doch: Bis der Tod uns scheidet.“

Auch die größte Liebe unter Menschen hört irgendwann auf – und wenn man sie mit ins Grab nimmt; spätestens von da an ist diese Liebe nur noch sehr einseitig und geht vom überlebenden Partner aus.

„Du bist aber unromantisch!“ brauste die Braut auf. „Liebst Du mich denn gar nicht über alles?“

„Doch schon“, entgegnete der Bräutigam entnervt, „aber ewig hält gar nichts. Nicht einmal unsere Liebe!“

Die Braut versuchte sich Hilfe bei mir, ihrem Pfarrer, zu holen: „Sie reden doch in den Kirchen ständig von der Liebe und von der Ewigkeit! Wo wenn nicht jetzt und hier bei einer Hochzeit, noch dazu vor Gott und seiner Gemeinde, lohnt es sich denn, von ‚ewiger Liebe‘ zu reden?“

Ich hielt einen Moment inne, musste das erst einmal sacken lassen. „Sie haben beide recht“, erwiderte ich diplomatisch, „aber so unromantisch es auch sein mag: Ihrem Mann kann ich aus meiner Sicht insgesamt eher zustimmen!“

Sie schaute mich verblüfft an: „Aber wo ist sie denn dann, die Ewige Liebe?“

Es ist ja so, dass wir nicht wissen können, was genau nach dem Tod ist. Die Maßstäbe für unser Leben hier auf der Erde werden wohl in Gottes Ewigkeit umgewertet sein.

Und überhaupt: „Ewig“ – das ist ein Begriff, der allein Gott zukommt. Nicht einmal das Universum ist, folgt man der aktuellen Mehrheitsmeinung der Astronomie, ewig, sondern hat zeitliche Grenzen.

Wie können wir dann in so einer sehr kurzen Zeit, wie sie unser Leben in Anspruch nimmt, von ewiger Liebe reden?

Das können wir, wenn wir verliebt sind. Das können wir gut und gern, wenn wir romantisch veranlagt sind.

Aber wir dürfen gleichzeitig wissen, dass die blumige Sprache der Liebe und der Romantik eben nicht unbedingt realistisch ist.

Und spätestens vor dem Scheidungsrichter, sollte die Ehe in die Brüche gegangen sein, spätestens da wird auch der überschwänglichste Romantiker den Begriff „ewig“ für die eigene Liebe ausklammern wollen. „Ja damals“, heisst es dann.  „Da habe ich noch an die ewige Liebe geglaubt. Aber jetzt, wo ich gemerkt habe, wie sie wirklich ist…“

Sich verliebt anschauen und romantisch dem anderen Ewige Liebe schwören ist das eine – ein anderes ist die Frage, wie die Realität aussieht.

Und die ist meistens ja nicht ganz so rosig. Zumindest nicht in Ewigkeit.

Der Apostel Paulus hat mit dem heutigen Predigttext einen geradezu philosophisch wie theologisch genialen Vorschlag gemacht, wie man leben soll.

„Haben, als hätte man nicht“, kann man das ganze überschreiben.

„Wenn du eine Frau hast, sollst du sein, als hättest du keine.“

Haben ist hier im Sinne von besitzen zu begreifen. Und das ist ja damals wie heute aktuell.

Damals deshalb, weil Menschen in unglaublichem Maße tatsächlich und rechtlich abhängig waren von anderen: Der Sklave von seinem Herrn, der Klient von seinem Patron. Die Ehefrau von ihrem Ehemann.

Und heute nicht mehr eine rechtliche Abhängigkeit und Unterordnung, aber dennoch eine Tatsächliche, die durch das Miteinander und Gegeneinander von Menschen entsteht.

Eifersüchteleien, angebliche Rechte gegenüber dem Partner sowie Gewalt in der Ehe sind mitten unter uns.

„Haben als hätte man nicht“, ermahnt uns der Apostel Paulus.

Lebt so, als hättet ihr nicht die Oberhand, weil ihr der Klügere seid gegenüber eurer Ehefrau. Lebt so, als hättet ihr nicht die Oberhand gegenüber eurem Ehemann, weil ihr den besseren Draht zu den Kindern habt.

Lebt so, als hättet ihr nicht die Oberhand, weil ihr es seid, die das Geld verdienen, während der Partner – sei es als Hausmann oder als Hausfrau – für Haus und Kinder sorgt und ihn bzw. sie mit einem Taschengeld abspeist.

Lebt so, als hättet ihr nicht die Oberhand. Lebt so, als wäre Euer Partner nicht euer Besitz, sondern etwas ganz kostbares, das euch gegeben ist, damit ihr Euer Leben besser leben könnt als ohne ihn oder sie.

Paulus setzt da ja noch einiges drauf. Er schreibt weiter:

Die Menschen sollen so sein:„die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht“

Der erste Gedanke, der hier kommt ist, ist der an eine griechisch-römische philosophische Schule, die sogenannte „Stoa“.

Bei dieser Philosophenschule, die zur Zeit des Paulus groß in Mode war, ging es darum, möglichst in Seelenruhe und Gelassenheit die Welt zu betrachten bzw. möglichst in emotionaler Selbstbeherrschung zu leben.

Meint Paulus etwa das, wenn er sagt, dass man, wenn man weint, so sein soll, als weinte man nicht? Oder wenn er denen, die sich freuen empfiehlt, so zu sein, als freuten sie sich nicht. Der Hörer der damaligen Zeit muss das sofort assoziiert haben – wir heute aus der Distanz zur antiken Welt lebenden haben es da besser. Wir hören das nicht, sondern fragen uns eher: Wie um Himmels willen soll das denn gehen? Was meint Paulus?

Wir müssen den vorangegangenen Satz hinzunehmen: „Die Zeit ist kurz“, sagt er da. Oder, im griechischen Original so viel treffender: „Der Zeitpunkt ist zusammengeballt.“

Das heißt soviel wie: Ihr lebt schon mitten im anbrechenden Reich Gottes. Schafft euch selbst nicht neue Götter, indem ihr eure eigenen Lebensbezüge für so wichtig nehmt! Habt stattdessen im Hinterkopf: Ich brauche eigentlich nicht zu weinen, wenn ich traurig bin: Das Wesen dieser Welt ist am vergehen. Gott ist unmittelbar dabei, mit dem Evangelium von Jesus Christus etwas Neues zu schaffen.

Ja sicher: Es gibt viel Schlimmes, Entsetzliches, Trauriges. Auch hier in unserer Gemeinde, auch hier heute Morgen unter uns gibt es sehr viel, über das man weinen könnte und freilich auch darf.

Paulus würde das auch nie verurteilen, in Trauer oder nach schlimmen Erfahrungen zu weinen. An anderer Stelle, im Römerbrief 12,15, empfiehlt er sogar:

„Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.“

Hier aber sagt er: Seid so, ihr Weinenden, als weintet ihr nicht.

Auch hier geht es darum, ganz ähnlich wie im Beispiel des beherrschenden Partners, als würde man dieses Weinen besitzen. Als würde man ganz und gar von dem gefangen sein, was gerade um einen herum geschehen ist und geschieht.

Stattdessen will Paulus, dass wir den Blick auf das wirklich Wesentliche lenken. Und das ist nicht diese Welt, denn diese Welt ist am vergehen.

Vor der Größe Gottes wird unser Leben doch ganz klein, unsere Traurigkeiten ganz unbedeutend – allerdings nur dann, wenn man verstanden hat, dass Gott für uns da ist.

Ohne das ist Gott vor der ganzen Größe des Universums nur eine weitere Größe, die unser Leben noch anstrengender, ja geradezu noch niederschmetternder und sinnloser machen könnte.

Der Atheist und Philosoph Friedrich Nietzsche hat daraus die einzig richtige Konsequenz gezogen: Vor dem Hintergrund, dass es keinen Gott gebe und dadurch dann auch auf lange Sicht rein gar nichts wichtig ist und Bestand hat, ist alles nichtig.

Diese Form des Nihilismus, wie man es dann genannt hat, zwingt dazu, das eigene Leben nicht länger wichtig zu nehmen – allerdings um den Preis der totalen Bedeutungslosigkeit von allem. Auch der eigenen Sinn- und Bedeutungslosigkeit von einem selber. Dass Nietzsche über diesen Gedankengang wahnsinnig wurde und in geistiger Umnachtung starb, verwundert dann auch nicht länger. Hat man einmal in den Abgrund des Nichts geblickt, ist das für uns Menschen nur dann zu ertragen, wenn wir wegschauen oder uns diesen Abgrund allen Seins schönreden.

Ein wenig so wie die romantisch veranlagte Braut mit ihrer „Ewigen Liebe“!

Für den Apostel Paulus sind Nihilismus und die Abgründe der menschlichen Existenz zwar noch nicht ausgesprochen, aber doch frielich bereits mit Händen greifbar.

Er kehrt den depressiv machenden Gedanken an die Nichtigkeit der Welt allerdings um. Er behauptet dabei nicht, dass die Welt an Sinnhaftigkeit durch unser Tun gewinnen würde – aber er weiß aus eigener Erfahrung, dass der gesamte Kosmos ein Ziel hat, das von Gott gegeben  ist. Unsere jetzige Zeit, die wir erleben, ist ein kleiner zusammengeballter Zeitpunkt, bei dem wir das große Glück haben, von dem Ereignis etwas zu erfahren, das der Welt Richtung und Ziel gibt.

„Haltet euch nicht fest an den Dingen, die ohnehin vergehen! Setzt diese nicht absolut. Richtet euch darauf ein, dass Gott mit euch noch viel mehr vorhat. Euer Lachen und euer Weinen werden nichts sein im Vergleich zur Ewigkeit Gottes.“

Die ganze Jagd nach dem Glück, in die ich selbst auch verstrickt bin, das räume ich unumwunden ein, diese ganze Jagd ist doch wirklich lächerlich, wenn wir uns klarmachen, was eigentlich wirklich wichtig ist. Genauso all die Traurigkeiten: Was kann denn eigentlich noch schlimm sein im Angesicht der ewigen Gemeinschaft mit Gott? Schlimm wäre das alles hier, wenn sich am Ende herausstellen würde, dass kein Gott da ist. Dem Paulus geht es also in seiner Überlegung des „Habens als hätte man nicht“ um das Bekanntwerden mit den realen Verhältnissen zwischen Mensch, Welt und Gott. Und vor Gott, ich sagte das bereits, wird alles ganz klein.

Mein Lieblingsphilosoph, Immanuel Kant, der nur das glauben wollte, was man auch beweisen konnte, sah sich in verzweifelter Situation, als er feststellen musste, dass keiner der Gottesbeweise der Welt des Mittelalters stichhaltig genug waren, um als echte Beweise zu gelten. Auch seine eigenen Versuche, das Vorhandensein Gottes zu demonstrieren, scheiterten letztendlich daran, dass sich Gott unseres Zugriffes entzieht.

Ihm fiel dann nicht viel mehr ein als ein „als ob“ einzufügen. Leben, „als ob“ es Gott gibt. Leben, „als ob“ eine höchste Macht im Kosmos vorhanden ist, die uns gerade im Bereich des Moralischen zu Höchtleistungen bringen kann. Kant ahnte: Bricht auch dieses „als ob Gott da wäre“ weg, sieht es um die Menschheit schlecht aus. Wie recht er damit hatte sieht man an den Diktaturen der Sozialisten und Nationalsozialisten, deren Ideologie aus einer Verstümmelung der Ethik Kants heraus geronnen ist – freilich über Weiterentwicklungen bei Denkern wie Hegel, Marx und Nietzsche, um nur die Wesentlichen zu benennen.

Der Mensch, der selbst Gott sein will und diese Welt für wirklich wesentlich hält, scheitert – spätestens mit dem eigenen Tod.

Es mag dann ein Trick sein, Gott im „als ob“ vorauszusetzen – ein Trick des Unglaubens, in dieser Welt zu bestehen – aber er erscheint mir immer noch besser als der Nihilismus, der allem seine Grundlage entzieht.

Aber: Auf wackeligem Boden bewegt sich derjenige, der  im „als ob-Gottes“ lebt.

Anders derjenige, der erfahren hat, dass Jesus Christus für ihn da ist. Der begriffen hat, dass das Sein dieser Welt zwar am Vergehen ist, das Reich Gottes aber mitten im Werden ist. Da wird einem dann auch vor dem Kältetod des Universums und den Schrecken, die wir erleben, nicht mehr bange. Angstfrei können wir nach vorn und in die Zukunft blicken, da wir wissen, dass Gott sich für uns hingibt und uns liebt.

Aber wie ist es denn nun mit der Ewigen Liebe? Irgendwie muss sie ja doch da sein, sonst würden nicht so viele Leute darüber reden!? Oder irren sich all die vielen?

Sie irren sich, wenn sie meinen, dass sie es sind, die diese Ewige Liebe herstellen könnten. Sie irren, wenn sie meinen, dass wir Menschen etwas tun könnten, das ewigen Bestand hat.

Aber sie liegen genau richtig, wenn diese Ewige Liebe aus dem Glauben an Gott heraus fließt.

Sie liegen genau richtig, wenn sie ihre eigene Liebe zum Partner als ein Abbild der Ewigen Liebe Gottes begreifen.

In dem Moment, wo man im Glauben seine Liebe zum Partner hat, hat man auch Anteil an der Ewigen Liebe Gottes.

Und diese Liebe, die können wir nun einmal nicht erreichen, daher ist es für uns sinnvoller, sie auch nicht krampfhaft besitzen zu wollen.

Arbeiten an der eigenen Liebe, das wohl. Im Bemühen darum, sie zu erhalten, müssen wir sie pflegen. Denn auch wenn das Wesen dieser Welt vergeht, sind wir ja noch mittendrin!

Martin Luther brachte das einmal in ein sehr schönes Bild. Er sagte:

„Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, der von der Erde bis an den Himmel reicht.“

Zugegeben: Erneut blumige, romantische  Sprache. Aber eben eine, die wahrscheinlich sogar noch hinter der Realität Gottes zurücksteht, dessen Liebe eben eine Ewige ist und bleibt.

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.