15. Sonntag nach Trinitatis 2015: Das Reich Gottes in dieser Welt (Mt 6,25-34)

Von Pfarrer Marvin Lange

PREDIGTTEXT MT 6,25-34
25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?
27 Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.


29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.
30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?
32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

1.    Einstieg: Konfirmationsfrage (Was werden wir essen/trinken/anziehen?)
Liebe Gemeinde,
in unserem Text aus der Bergpredigt geht Jesus auf die drei entscheidenden Frage ein, die die meisten Eltern von Konfirmanden ungefähr ab jetzt umtreibt:
Was werden wir essen? 
Was werden wir trinken? 
Womit werden wir uns kleiden?

Die Suche nach dem passenden Restaurant, die Diskussionen mit den Jugendlichen, ob eher Schweinemedaillons in Safransauce oder American Burger, nehmen in vielen – wenn nicht den meisten Familien – einen breiten Raum ein.
Dann die elenden Diskussionen um die Getränke: Wieviel darf eine vierzehnjährige Konfirmandin „schon“ trinken – ab der Konfirmation mache man das doch so, dass da ein oder auch ein paar Gläschen in Ordnung seien.
Und die Debatten darüber, warum man sich einen Anzug kaufen soll und nicht unbedingt mit Flipflos in den Gottesdienst einziehen sollte, weswegen das Kleid nicht ganz so kurz sein darf (weil ihr knien müsst und dann sieht man von hinten möglicherweise mehr als ihr möchtet) oder warum man ganz einfach das gebrauchte Kostüm der großen Schwester nehmen soll, obwohl man doch so schön shoppen gehen könnte.

Ich selber verstehe diese Fragen und mache sie mir selber oft und stark zu eigen. 
Bald feiern wir einen Geburtstag: 
Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?

Und was sagt Jesus dazu?
Die Antwort fällt vernichtend aus. 
Nach all dem trachten die Heiden.

Wir sind nicht in besonders guter Gesellschaft, wenn wir das so tun. 
Wir sind Menschen – beide: Heiden und Christen!
Aber der feine aber am Ende doch gewaltige Unterschied ist: 
Heiden sind gottlos – Christen nicht. 

Wenn Jesus also sagt, wir seien im Trachten danach wie die Heiden, dann wirft er uns vor, dass wir etwas Entscheidendes vergessen hätten.
Nämlich Gott selber.

Kann es aber sein, dass Jesus uns den völligen Verzicht auf solche Fragen empfiehlt?
Eine Party muss doch gut vorbereitet werden! 
Eine Konfirmation will sorgfältig geplant sein!
Und die Frage nach Essen/Trinken/Kleidung stellt sich doch unmittelbar, spätestens dann, 
wenn man weder das eine noch das andere hat. 

Es wird uns dieser Tage ja wieder vorgeführt, wenn ich lese und höre, dass es den vielen Flüchtlingen an Kleidung, vor allem an Schuhen, mangelt.

Ich will dem von einer anderen Seite nachgehen!

2.    Meine Zigeunerbegegnung (Nahrung und Kleidung)
Donnerstag war ich mal wieder einkaufen. Schon auf dem Parkplatz wurde ich beäugt von außerordentlich schlecht gekleideten Menschen aus Südosteuropa. 
Schmuddelig und schief grinsend schauten mich eindringlich an, was mich stark befremdete. 
Na, es könnten Flüchtlinge sein, wer weiß, andere Kultur, wir sind hier ja Willkommenskultur, also lächelte ich sie schüchtern an. 

Während ich meinen Einkaufswagen in den Supermarkt schob, sprach mich auch schon der erste an, indem er mir einen Zettel zeigte auf dem irgendetwas stand. 
Jedenfalls wollte er Geld von mir.
 
Ich wurde ihn rasch wieder los indem ich den Kopf schüttelte. 
Und irgendwie nervös war dabei. 
Sonst machen mir Bettler keine Angst.

Auf einmal merkte ich, dass um mich herum, allerdings noch in ordentlichem Abstand, bestimmt fünf oder sechs dieser Typen zu sehen waren. 
Während der eine mich noch angrinste, drückte sich plötzlich ein anderer an mir vorbei. 
Ich drückte dagegen mein Portemonnaie dichter an mich und fühlte mich zunehmend unwohl. 

„Das ist so eine südosteuropäische Diebesbande, vor denen manchmal gewarnt wird und die man früher einmal ungestraft Zigeuner nennen durfte“, schoss es mir durch den Kopf. 
Das darf man heute ja nicht mehr sagen. Das ist politisch inkorrekt. 

Aber egal: Die haben es auf mich abgesehen.

Es ist alles gut gegangen. 
Mir wurde nichts gestohlen. 
Noch ein paarmal wurde mir seltsam grinsend zugenickt, dann haben  sie von mir abgelassen.
Worauf will ich hinaus?

Diese Leute sorgen sich lang- und mittelfristig weder um Nahrung, noch um Getränke noch um Kleidung.
Die Kleidung war denkbar schlecht, überhaupt war das Äußerliche so, dass man es nicht nur sah, sondern auch roch: Hier kommt jemand sehr armes.
Und Nahrung und Trinken finden sich schon kurzfristig. 
Sei es durch einen Spender, sei es durch einen Diebstahl, dem ich zweifellos beinahe zum Opfer gefallen wäre.

Also die Sorge um Essen und Trinken und Kleidung: 
Empfiehlt es Jesus, sich so wenig darum zu scheren wie diese rumänische Bande? So dass erst dann, wenn der Magen knurrt oder die Kehle trocken ist, man auf einen raschen Raubzug geht?

Ich bin mir sicher, dass so etwas der Herr nicht gemeint haben kann!
Es würde ja bedeuten, dass man gegen Gottes Ordnung verstoßen müsste. 
Du sollst nicht stehlen. 
Nicht begehren. 
Wie meint er es also?
Muss man sich dennoch sorgen, obwohl er sagt, wir sollten das lassen?

Ich nähere mich der Antwort mit einer Überlegung über die Flüchtlinge hier in der Zeltstadt: 

3.    Ein Wort zu den Flüchtlingen (Aufforderung das Reich Gottes zu sehen, das diese in Deutschland sehen!)
Es sind da ja Menschen ganz unterschiedlicher Nationalitäten untergebracht. 
Da sind gebrochene Menschen des syrischen Bürgerkriegs neben sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen neben Somaliern neben Afghanen und anderen.
 
Muslime, Christen, Jeziden, Atheisten. 

Bunt durcheinander gewürfelt und sich leider auch nicht immer grün.

Ich will bei den Kriegsflüchtlingen und politisch Verfolgten bleiben. 
Als diese weggegangen sind, geflohen sind, ging es ihnen um Leib und Leben, Hab und Gut.
Viele sind nur mit einem Rucksack unterwegs, ein Bündel Geld, das sie den kriminellen Schleusern abliefern mussten, um hierher zu kommen. 
Haus, Besitz, alles zurückgelassen. 
Diejenigen, die ich kenne, waren keine armen Leute, bevor sie hierhergekommen sind.

Sie kennen das alles.
Aus den Zeitungen.
Aus den Nachrichten.
(Hoffentlich hat der eine oder andere mittlerweile auch Kontakt zu Flüchtlingen. Nur durch echten Kontakt mit uns ist Integration möglich.)

Was trieb die Flüchtlinge ursprünglich an? 
Das Überleben. 
Mehr erst einmal nicht.
Und dann die Vision eines gelobten Landes. 
Des Paradieses. 
Wohin gehen, um zu überleben?

Den Ländern Mittel- und Nordeuropas, wo es kaum Gewalt gibt, wo Polizisten dein Freund und Helfer sind, wo man sogar ohne Arbeit gut leben kann, wo man für seine Kindern beste Ausbildungen erhält, wo es immer genug essen für alle gibt. 
Wo man trinken darf, was und wann man will, 
wo Kleidung wenn nicht kostenlos, 
so doch fast umsonst zu bekommen ist. 
Wo man freundlich empfangen wird.

Das ist ein gutes Ziel um zu fliehen! 
Ein besseres als alle anderen!

Ich würde mich auch auf den Weg zu uns machen, wenn ich ein vertriebener Christ aus Mossul wäre. 
Ich würde alles in Bewegung dafür setzen, mit meiner Familie hierher kommen zu dürfen. 
Alles gäbe ich dafür, mein Leben, das ohnehin ständig auf dem Spiel steht, würde ich als Einsatz in die Waagschale werfen.
Meine Kinder könnten es so einmal besser haben als ich es hatte!

Ihr Lieben, hier bei und ist tatsächlich das Reich Gottes bereits so sehr verwirklicht, dass wir es für selbstverständlich halten und gar nicht mehr merken, in was für einer großartigen Zeit in was für einem  großartigen Land wir leben.
Das merken nur diejenigen, die darauf schauen!

Bloß: Wie manche den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen, so sehen bei uns so viele nicht mehr Gott vor lauter Reich Gottes um uns herum.

Dürfen wir es also Menschen der Bürgerkriegsländer verübeln, wenn sie sich hierher auf den Weg machen?
Kurz ist die Antwort: 
Nein – das dürfen wir nicht. 
Das Reich Gottes ist der Ort, den wir Christen anstreben. 
Und unser Land ist der Ort, den Flüchtlinge zum Teil für diesen Ort halten.
Dass dem nicht so ist und das Paradies von uns noch immer unendlich weit fort ist, das wird den meisten ja recht schnell klar – spätestens bei brennenden Heimen, aber auch schon wenn die Nächte in den Zeltstädten bald ungemütlich werden oder die Gewalt der konfliktbeladenen Länder zu uns hierher importiert wird und sich entlädt.

Doch die Vision des Reiches Gottes der Flüchtlinge kann für uns zum Schlüssel der Aufforderung Jesu werden. 
Denn: Das Reich Gottes ist die Antwort.

Doch zunächst ein Gegenbeispiel, 
eine Realsatire.

4.    Nur um sich selbst kreisen
„Katja ist Mitte dreißig und weitestgehend sorgenfrei. 
Jedenfalls was Sorgen für andere angeht. Für sich selbst sorgt sie sehr. 
Ihre Arbeitsstelle hatte ihr noch nie sonderliche Freude gemacht. 
Da traf es sich gut, dass sie schwanger wurde, dann in den Mutterschutz gehen konnte und nun erst einmal eine Weile zu Hause bleiben kann – 
mit sich und dem Kind, während ihr Mann arbeitet. 
Katjas Tage sind ausgefüllt mit Gedanken über sich und ihr Kind. 
Haushalt ist ihr zu anstrengend, muss sie doch auf ihr Kind achtgeben. 
Meist frühstückt sie spät oder sie geht essen. 
Einkaufen und Wäsche erledigt ihr Mann; sauber macht die freundliche Dame aus Kasachstan. 
Wenn sonst noch etwas Gewichtiges zu tun ist, kommt ihr Vater aus 200 km Entfernung angereist. 
Das Enkelkind lockt ihn mehr, als er die lange Fahrt und Rückfahrt fürchtet. 
Als jemand sie um eine kleine Hilfe bittet, kann sie gerade nicht, will spazieren gehen. 
Verspricht aber, später zu kommen. Kommt dann zu spät. 
Alle sorgen sich um Katja, und die sorgt sich um sich und um sonst nichts. 
Es gibt Tage, da weiß sie auf Anhieb nicht, was sie tun könnte. 
Dann fragt sie sich am Morgen: 
Was könnte ich mir heute mal Gutes tun? 
Kosmetikerin? 
Thai-Massage? 
Frühstücken im Café mit anderen Müttern? Es wird sich finden. 
Es findet sich immer. 
Katja ist sorglos, was andere Menschen angeht. 
Und sehr besorgt, was sie selbst angeht. Ihr ganzes Bestreben geht in eine Richtung: 
die eigene. 
Deswegen hören ihre Sorgen nie auf. Zufrieden kennt man sie nicht. 
Je sorgloser sie gegenüber anderen ist, desto besorgter wird sie um sich selbst.“ (Werkstatt für Liturgie und Predigt 7/2015, S. 285f.)

5.    Mein Kalender und das Sorgen um den Nächsten Tag (der morgige Tag wird für das Seine sorgen!)
Noch einmal zum Predigttext zurück:
„Zunächst erscheint der Text – paradoxerweise – wie eine Überforderung. Wie soll das gehen – sich nicht zu sorgen? Vielleicht nicht um Essen, Trinken und Kleidung, davon haben die meisten Menschen in unserer Gesellschaft genug. Aber um den Arbeitsplatz, um die Gesundheit, um die Kinder? 

Es gibt genug Grund zur Sorge im Leben. Auch der Vergleich mit den Vögeln und den Lilien hilft wenig weiter. 
Es ist ja Segen (und manchmal vielleicht auch Schicksal?) des Menschen, dass er planen und Vorsorge treffen kann.

Ich glaube, ein Schlüssel zum Verständnis liegt im letzten Vers: 
Sorgt nicht für morgen … 

Ich kenne das von mir: 
Dass die Zukunft – was muss ich organisieren, was kann alles schiefgehen, wie werde ich mich dann verhalten? – 
mich vom Jetzt ablenkt. 

Gedanklich lebe ich viel zu oft im Morgen und verpasse damit eine große Chance: Gott zu begegnen. 

Gottes Nähe kann ich immer nur im Heute erfahren, in dem Moment, in dem mich etwas quält, in dem mich etwas freut, jetzt. 

Jesus will uns nicht überfordern, sondern entlasten: 
In seiner Gegenwart werden Sorgen leichter. 
Er gibt noch einen Hinweis im Umgang mit den eigenen Sorgen: 

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit. 

Das sagt mir: 
Mach’ die Sorgen deines Nächsten zu deinen eigenen.“ (Werkstatt für Liturgie und Predigt 7/2015, S. 285f.)
Also: 
Suche die Flüchtlinge auf, die jetzt hier sind – egal, ob du die Flüchtlingspolitik unserer Regierung für  richtig oder für falsch findest! 

Bleibe nicht nur bei dir selbst stehen!

Benenne aber auch das Falsche beim Namen – unerschrocken und ohne Rücksicht auf die Verdreher der Wahrheit! 

„Wer sich um den Nächsten sorgt, dessen eigene Sorgen werden kleiner.“ (Werkstatt für Liturgie und Predigt 7/2015, S. 285f.)

Und der darf dann auch gern gemeinsam in der Familie drüber nachdenken, was am besten an der Konfirmation aufgetischt wird und was für Kleidung für die nächste Party am angesagtesten ist.

Amen.
Und der Friede Gottes….


LIED NACH DER PREDIGT EG 182,1-6: SUCHET ZUERST GOTTES REICH IN DIESER WELT