1. Weihnachtstag 2015: Gotteskinder (1. Joh 3,1-3)

Von Pfarrer Marvin Lange

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,
der die Welt erleuchtet,
sei mit euch allen. 
Amen.

Der Predigttext für den heutigen Weihnachtsmorgen steht bei 1 Joh 3,1-3.
1 Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum kennt uns die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht.
2 Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.
3 Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist.


1.    Einleitung: Gotteskindschaft: Noch nicht offenbar
Liebe Gemeinde,
das ist also die Weihnachtsbotschaft 2015: Ihr seid Gottes Kinder! 
Aber das Kind liegt doch in der Krippe, Maria und Joseph stehen dabei, die Hirten kommen, die Engel singen in der Nacht, später treten dann die Weisen aus dem Morgenland dazu: 
Das Kind Gottes ist doch eng verbunden mit dem Krippenbild, mit dem göttlichen Kind, mit Jesus von Nazareth.
Nicht so sehr mit uns!
Wir dürfen uns heute Morgen aber aus dem 1. Johannesbrief sagen lassen: 
„Ihr seid Gottes Kinder!“
 
Es ist zwar, so räumt der Schreiber ein, noch nicht offenbar, was das nun im Einzelnen heißt, aber ihr seid es. 
So geht es plötzlich gar nicht mehr um das Kind in der Krippe, sondern um uns!
Schauen wir da hin: auf uns!

2.    Das Wort ward Fleisch: Gotteskindschaft an der Krippe
a)    Weihnachtschmuck allüberall
Viele von uns haben ihre Wohnungen in den letzten Wochen kräftig geschmückt. 
Engelchen und Kerzen fehlen in fast keiner Wohnung. 
Weihnachtsbäume stehen in den Wohnzimmern, 
Sterne hängen von den Zimmerdecken, Fensterbilder strahlen nach außen wie nach innen. 

Weihnachten ist eine ungebrochene Tradition unserer säkularisierten Welt. 

Sogar eine Freundin von mir, eine atheistische Weihnachtshasserin, hat sich für ihre sechsjährige Tochter dieses Jahr darauf eingelassen, beim Weihnachtstrubel mitzumachen.  
Ihre Tochter durfte beim Krippenspiel in der Schule hoch im Norden Deutschlands ein Engel sein. 
Weihnachtskekse wurden gebacken. 
Sogar ein Weihnachtsbaum wurde angeschafft.

Weihnachten ist für solche Leute am ehesten ein Lichter- und Familienfest, das begangen wird, um Familie zu besuchen oder sich besuchen zu lassen. 
In der dunkelsten Zeit des Jahres: Machen wir es uns hell, warm und gemütlich!

Gotteskindschaft sieht anders aus.

b)    Fest der Bescherung
Oder die letzten Tage in der Stadt. Geschenke einkaufen. 
Selbst der griesgrämigste Typus Mensch wird meist hineingerissen in die Welt des Schenkens und Beschenktwerdens zur Weihnachtszeit, wie etwa der fürchterliche Ebenezer Scrouge ind er berühmten Geschichte von Charles Dickens. 

Es ist nicht einfach, sich dem zu entziehen. 
Und es ist ja auch eine sehr schöne Tradition!
Wir haben bei uns daheim die Regel: Innerfamiliär wird geschenkt wie man will, außerfamiliär möglichst nicht, aber dies wiederum abgesprochen mit den Freunden. 
Das ist kompliziert. 
Man will ja auch nicht als lieblos dastehen!
Aber auch: Keine Geschenke, die nicht unbedingt nötig sind!

Es artet sonst in Weihnachtsstress aus – und es ist nicht schön, wenn wir es mit Kalt Valentin halten müssen und konstatieren: 

„Wenn die stille Zeit vorbei ist, dann wird es auch wieder ruhiger!“

Geschenke stehen für einen etwas anderen Weihnachtsfest-Typus: 
das Bescherfest. 
Und selbst wer keinen Weihnachtsbaum hat, aufs Schmücken verzichtet und nicht einen einzigen Weihnachtsgottesdienst besucht, der macht statistisch gesehen mit!
Wir haben es Luther zu verdanken, der dem Heiligen Nikolaus das Geschenkebringen wegnahm, da auch die Heiligen schließlich in ihren Gräbern bis zur Auferstehung warten müssen und man den Kindern doch bitte keinen Unsinn erzählen solle. 

Er meinte: 
Das größte Geschenk ist nunmal die Wahrheit, dass Gott in Jesus Christus Gestalt angenommen hat – 
und dies solle man den Kindern doch dadurch beibringen, dass man ihnen Geschenke schenkt.  
Und dazu dann von dem größten Geschenk, nämlich von Jesus selbst, erzählt. 

Ich kann nicht in die Herzen der Menschen schauen, aber ich behaupte: 
So, wie viele von uns in den letzten Tagen Geschenke zusammengeklaubt haben, eingekauft haben, online bestellt haben (das mache ich besonders gern), verpackt haben, hat das mit der Gotteskindschaft, wie sie dem Briefschreiber Johannes vorschwebt, nur in Ausnahmefällen zu tun.

Gotteskindschaft sieht anders aus!

c)    Die Weihnachtskrippe
Versuchen wir es mit der biblischen Tradition selber, nähern wir uns unserer eigenen Gotteskindschaft über die Weihnachtserzählungen des Neuen Testaments! 
Anhand derer können wir eine Menge über uns selbst erfahren!

Die Weihnachtskrippe steht für einen Anfang: 
Den neuen Anfang, den Gott gemacht hat, indem er Mensch wurde. 
„Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ aus dem Johannesevangelium ist dafür der entscheidende Satz. 

So verstanden ist dann also weniger die Geburt, als vielmehr das ganze irdische Leben dieses Jesuskindes für uns von entscheidender Bedeutung! 
„Es wohnte unter uns.“ 

Weihnachten ist allein der Moment, wo alles für uns sichtbar beginnt.
Aber unsere eigene Gotteskindschaft, die beginnt ja auch irgendwo! 
Und dies sind meist bedeutende Zeiten im Leben:
–    Ich denke an meine Eltern, die mir erste Schritte des Glaubens beigebracht haben. Die mich – obwohl eigentlich völlig säkular denkend – haben taufen lassen. 
–    Ich denke an meine Religionslehrer, die sich größte Mühe gaben, mir ein Bewusstsein für das Christentum in einer Welt zu vermitteln, die dem Christentum zunehmend gleichgültig bis ablehnend gegenüber steht.
–    Ich denke an mich im Konferunterricht und dem einen Jahr, das ich mit meinem Pfarrer Dienstag für Dienstag hatte. Ein gutes Jahr.

Das war sozusagen meine persönliche Krippenerfahrung, der Beginn meiner Gotteskindschaft: 
Vater und Mutter, drum herum die unterschiedlichsten Gestalten:
Die drei Weisen vielleicht die Relilehrer und der Pfarrer, 
die Hirten meine Paten, 
andere Menschen, meine Freunde, Bekannte, 
eine Menge Engel dazu, die mich auf das Gleis gestellt haben, auf dem ich nun fahre. 
Ochsen, Schafe und Esel meine ich übrigens im Leben auch schon genug getroffen zu haben. 
Aber davon kann es ja, wie man bei unseren Krippenspielen lernt, nie genug geben!

Gute und schreckliche Erfahrungen gemacht, Licht und Dunkel ertragen und gefeiert; 
die Krippe kann so behaglich sein – sie muss nicht der Ort der Flucht, der Vertreibung und der Kälte sein. 
Das ist allein ein gern gehörtes Gerücht unserer Tage, das uns statt zum Glauben in die Sentimentalität zieht, die für das Ereignis der Geburt unseres Herrn absolut nicht angemessen ist.

Also: 
Mit der Krippe ist ein Anfang gemacht! 
Aber wenn wir ehrlich sind: Gotteskindschaft sieht doch noch einmal anders aus!

3.    Gotteskindschaft in der Nachfolge 
Johannes wird in seinem Brief an uns am Weihnachtsmorgen konkret: 
Er sagt: 
„es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein.“

Wie und was die Gotteskindschaft genau und im Einzelnen für dich und für mich bedeutet, ist noch nicht raus, ist noch nicht klar. 

Es ist nur soviel deutlich: 
Wenn das Ende der Zeiten anbricht, dann werden wir klar sehen, dass wir Jesus selbst in unserer Gotteskindschaft gleichen.
Wir sind dann ihm ähnlicher als wir uns das heute vorstellen können, mit all unseren Macken, unseren Fehlern, unseren Eitelkeiten und was es dergleichen mehr noch gibt!
Das heißt aber auch noch etwas anderes: 
Einen Teil der Offenbarung, was es bedeuten mag, ein Kind Gottes zu sein, haben wir sehr wohl: 
Es liegt klar zu Tage, denn es ist Jesus selber. 

Ihm nachzufolgen, das ist die wahre Gotteskindschaft!
Das heißt als allererstes: Aus Glauben heraus leben. 
Egal ob ich am Arbeitsplatz bin oder mich zu Hause in der Familie befinde, allein oder mit anderen: 
Was ich tue, das tue ich im Bewusstsein, dass Gott selber mir ganz nahe ist und mich als sein Kind annimmt. 

Dann bedeutet es als nächstes: 
Auch derjenige, dem ich begegne, könnte ein Kind Gottes sein! 
Ich behandle ihn/sie also so, wie ich selbst behandelt werden möchte – ja noch mehr: 
ich versuche und bemühe mich darum, mein Gegenüber so zu behandeln, wie ich mich selbst liebe – als Kind Gottes! 
Das klappt nicht immer, das weiß ich selbst. 
Mir fällt es zwar recht leicht, Fehler einzusehen und mich bei anderen zu entschuldigen. 
Zu versuchen, Dinge wieder gut zu machen, wenn ich mal Mist gebaut habe. 
Das geht schon ganz gut.

Aber es fällt mir wahnsinnig schwer, anderen zu verzeihen. 
Wer mich einmal schlecht behandelt hat, dem gebe ich so schnell keine zweite Chance. 

Doch genau darauf käme es dann an, wenn Gotteskindschaft ernsthaft gelebt werden will! 
Falle ich, fallen wir dann also aus der Gotteskindschaft heraus, wenn wir ein nicht so heiliges Leben führen, wie ich es gerade verlange?

Nein! 
Denn mit der Taufe haben wir die Gewissheit, dass wir von Gott als seine Kinder angenommen werden. 
Ohne Bedingung.

Wie ein Vater seine Kinder liebhat, selbst wenn sie den ganzen Tag nur Unsinn im Kopf haben, so nimmt er uns als seine Kinder an. 
Aber wie ein Vater sich freut, wenn seine Kinder keinen Unsinn treiben, sondern liebevoll miteinander umgehen, so freut sich auch Gott an uns, wenn wir Jesus nachfolgen und ihn und sein Wort Ernst nehmen.

Gotteskindschaft heute, das heißt: 
Seid weihnachtliche Menschen! 
Schmückt nicht nur Eure Wohnungen weihnachtlich, sondern lasst euch von Gott selbst schmücken. 
Geht nicht nur in den Gottesdienst, sondern nehmt Gott und den Gottesdienst mit nach Hause!
Schenkt nicht allein verpackte Geschenke, sondern schenkt der Welt eure Liebe!

Er freut sich an Eurem Schmuck, der eure Augen leuchten lässt. 
Er freut sich an eurem Glauben, der aus eurem Herzen strahlt.
Er freut sich an Eurer Liebe, die den Nächsten bedenkt und beschenkt.

Und wir? 

Wir dürfen uns freuen über die Liebe Gottes, 
die höher ist als all unsere Vernunft, 
und die unsere Herzen und Sinne in Jesus bewahrt, dem Kind in der Krippe und dem Christus der Welt.
Amen.